Samstag, 3. August 2013

Feuer und Eis

Island ist als die Insel aus Feuer und Eis bekannt und genau das wollte ich sehen. Auf zum "Goldenen Kreis" also, dem ersten Anlaufpunkt aller Islandurlauber außerhalb von Reykjavik. Um zumindest irgendetwas anders zu machen als die Masse der Touristen, wählte ich immerhin ein anderes Transportmittel: Mr. Daumen. Der Zauberdaumen hatte mir in Neuseeland schließlich schon aus der Patsche geholfen und nun hatte er die Chance sich auf der Nordhalbkugel zu beweisen. Und wenn schon nicht in Island, dem Land mit der geringsten Kriminalitätsrate der Welt und Wasser ringsherum, wo zur Hölle sollte man sonst gut per Anhalter reisen können?

Gesagt, getan. Meine Bemühungen aus Reykjavik herauszukommen wurden von Tómas, Exilpole, Wahlisländer und der erste, der mich mitnahm, mit Gelächter kommentiert. Ich stünde an der völlig verkehrten Straße und dann auch noch in der falschen Richtung. Aha, das kommt also dabei heraus, wenn man versucht über den Kartenrand der begrenzten Stadtkarte hinaus zu extrapolieren. Netterweise versorgte er mich nicht nur mit einer weitaus besseren Karte, sondern fuhr mich gleich auch noch ein ganzes Stückchen in die richtige Richtung, um mich an einem strategisch günstigen Platz auszusetzen. Der Platz war so günstig, dass es keine drei Minuten dauerte bis mich zwei Schweizerinnen einsammelten, beide Islandpferdeliebhaberinnen und auf dem Weg zu einer Freundin, ebenfalls Islandpferdeliebhaberin und außerdem im Besitz ebensolcher. Auf dem Weg wollten sie noch kurz Þingvellir einen Besuch abstatten - wie ich auch. Der Ort mit dem komischen Buchstaben wird Thingwedlir (mit englischen "th") ausgesprochen und ist der Ort eines der ältesten Parlamente der Welt, bei dem sich die Stammesanführer aus allen Teilen des Landes regelmäßig trafen und Gesetze beschlossen. Für diesen historisch bedeutsamen Platz suchten sie sich ausgerechnet ein auch geologisch spannendes Gebiet aus, nämlich das normalerweise tief im Ozean verborgene Riftsystem an dem die amerikanische und europäische Kontinentalplatte auseinanderdriften und das hier an Land zu sehen ist. Ob die das wohl geahnt haben, die alten Wikinger? 
Am Aussichtspunkt angekommen erstreckte sich vor mir eine weite grüne Ebene mit vielen kleinen Flüsschen, Gräben, Furchen und Klüften und dem angrenzenden See Þingvallavatn. Ich wanderte eine Runde durch die Gegend, bestaunte den mit Geldmünzen bedeckten Boden in der Peningagjá (Geldspalte), die klitzekleine Kirche Þingvallakirkja und den rauschenden Öxarárfoss, einen kaskadenartig herabstürzenden Wasserfall.



Weiter ging es zum nächsten Punkt des "Goldenen Kreises", der von Barry und Becky im nächsten mitfühlenden Auto in das "Goldene Dreieck" umgetauft wurde. Das englische Pärchen hatte gerade Job und Sesshaftigkeit an den Nagel gehängt um mit unbestimmten Ende über Island nach Alaska, Kanada, USA und weiter gen Süden zu reisen. Für die nächste Stunde war jedoch erstmal nur Geysir angesagt. und zwar DER Geysir, Namengeber aller Geysire dieser Welt. Leider spuckt er seit 2000 nur noch sporadisch Wasser in die Luft, weshalb sich die Tourischaren stattdessen auf Strokkur stürzen, der alle 6-10 Minuten für Spektakel sorgt und damit deutlich zuverlässiger ist. Das Ergebnis war eine enorm kurze aber in der Höhe ziemlich ordentliche Fontäne. Wie an allen drei Stationen des Kreises, Dreiecks, halben Sechsecks oder wie auch immer, war auch hier das Phänomen zu beobachten, dass nach einer langen Fahrt durch absolut menschenleere, unglaublich weite und schier endlose Landschaften aus dem Nichts eine plötzliche Ansammlung von Menschen, Autos und Bussen auftaucht, die genauso schnell verschwunden ist, wenn man wieder weiterfährt. Es hat fast etwas gespenstisches.

"B & B" fuhren mit mir dann auch gleich weiter zum Gullfoss (sprich: Güdlfoss), ein riesiger breiter Wasserfall, der in zwei Etappen mit donnerndem Getöse in eine Schlucht stürzt. Dank Sonnenschein überspannte ihn ein in allen Farben funkelnder Regenbogen und das aufstiebende Wasser glitzerte wie Silbertropfen in der Luft. Fast genauso gut waren die amüsanten Versuche vieler Touristen, gleichzeitig ihre teure Fotoausrüstung vor dem Wasser zu schützen und möglichst gute Fotos zu machen, resultierend zumeist in merkwürdigen Verrenkungen mit der Regenjacke über der Kamera und wüsten Flüchen, weil doch wieder irgendein Zipfel im Bild hing.


Die beiden Engländer nahmen mich netterweise auch noch ein ganzes Stück bis zum nächsten Städtchen (eher Dörfchen) auf der Ringstraße mit. Während sie noch ein ganzes Stück weiter fahren wollten, machte ich es mir in Hella (Hedla) auf einem Campingplatz mit idyllischer Flussaussicht gemütlich und schmökerte in meinem Buch, während mein Abendessen auf dem guten Trangiakocher brutzelte - und natürlich anbrannte, wie immer. Dem großartigen Geschmackserlebnis von Tütennudeln tat das allerdings keinen Abbruch.


Auch am nächsten Tag war mir der Daumen und das Glück hold. Dank gleich zweier französischer Familien landete ich ziemlich schnell und ziemlich fröhlich am Seljalandfoss, ein weiterer Wasserfall, diesmal aber mit dem Extra, dass man hinter ihm durchlaufen kann, was zugegebenermaßen schon ziemlich cool ist. 



Die nächste Etappe bedeutete das nächsthöhere Level in meiner Daumen-Aktion: Man versuche ein Auto zu finden, das einen über eine Schotterstraße mit mehreren Flussquerungen in die totale Wildnis namens Þorsmörk fährt. Level 2 dauerte exakt 5 Minuten, dann hielt bereits ein weiterer Franzose mit geländetauglichem Auto. Pierre ist nicht nur Erdkundelehrer auf La Réunion, sondern auch Hobbygeologe und auf der Suche nach Asche vom Ausbruch des Eyjafjallajökull (sprich: Eyjafjadlajöküdl), die er haben wollte, einfach nur weil es ziemlich cool ist Asche vom Eyjafjallajökull zu haben und sei es auch nur um bei der Gelegenheit damit anzugeben, dass man den Namen richtig aussprechen kann. Eine wilde Fahrt begann mit ziemlichem Gepolter durch das riesige breite Flussbett voller Schotter, durch das sich mehrere kleinere Flüsse schlängelten. Zwischendurch kamen uns Geländewagen entgegen, die direkt dem Film Transformers hätten entstiegen sein können, riesenhafte Geschosse mit Rädern so hoch wie die Seitentür unseres kleinen Autoleins. Den Mangel an Größe versuchte Pierre durch engagiertes Fahren wieder wettzumachen, bis er so engagiert durch einen Fluss fuhr, dass eine volle Woge Flusswasser durch das Beifahrerfenster platschte und ich ziemlich gebadet wurde. Die darauffolgende Woge aus Entschuldigungen, gefolgt von meinem belustigten "Ist doch nicht so schlimm..." ebbte erst ab, als sich das nächste Monster auf vier Rädern von vorne näherte und Pierre sich wieder auf die "Straße" konzentrieren musste.


Irgendwann waren wir dann endlich am Ende der Geröllpiste angelangt, von wo aus der Wanderweg starten sollte, mit dem ich die nächsten zwei Tage verbringen wollte. Mit meinem gefühlt viel zu vollen Rucksack stapfte ich also durchs Gebüsch und über Geröll, immer den Holzpflöcken folgend, die den Pfad markierten. Der kleine Trampelpfad schlängelte sich in immer größeren Höhen am Rand einer Schlucht entlang, von der man eine sagenhafte Aussicht in das Flusstal auf der einen Seite und Gletscher Myrdalsjökull auf der anderen Seite hatte. Unter dem Myrdalsjökull lauert die Katla, einer der aktivsten Vulkane Islands, von dem schon länger vermutet wird, dass er eigentlich mal wieder dran wäre. Direkt daneben, unter dem Gletscher Eyjafjallajökull sitzt, tja, der Eyjafjallajökull. Immerhin erspart uns das einen weiteren unaussprechlichen Namen. 

Weiter ging es über eine Hochebene, dann ein weiterer steiler Anstieg, eine weitere Ebene voller Geröll. Langsam machten die Beine darauf aufmerksam, dass sie sonst mit 15 Kilo weniger unterwegs sind, die nun auf meinem Rücken saßen. Nach einem weiteren Anstieg war mir erstens wieder eingefallen, warum die meisten Leute mit Stöcken wandern, wenn sie viel Gepäck tragen und hatte ich zweitens die Dampfschwaden entdeckt, die in immer kleiner werdender Entfernung vom Gestein aufstiegen. Zwischen den beginnenden Schneefeldern rauchte und qualmte es unaufhörlich und der Boden war wunderbar warm, wenn man die Hand darauflegte. Noch letztes Jahr hat es einigen Wanderern die Rucksäcke geschmolzen, die sie auf dem heißen Grund abgestellt hatten, so erzählte es mit später der Hüttenwirt. Gleich darauf erschienen hinter dem neuen Lavafeld auch Magni und Móði, die zwei neuen Krater, die es erst seit dem Ausbruch 2010 gibt. Wo das Gestein noch warm ist, schmilzt das Eis natürlich umso schneller und so war neben dem Wind ein stetiges Blubbern, Pusten, Plätschern und Knacken zu hören.



Immer weiter ging der Weg im Slalom über rutschige Schneefelder mit teils abenteuerlichen Eisbrücken über die kleinen Eiswasserströme, die talwärts sich ihren Weg bahnten. Irgendwann erreichte ich dann die kleine Hütte am Fimmvörðuháls-Pass, wo ich mit 20 anderen müden Wanderern überwiegend aus Deutschland, aber auch aus den USA, Niederlanden und Dänemark die Nacht verbrachte. Hüttenwirt Uwe ist ebenfalls Deutscher, kommt aber seit Jahren jeden Sommer nach Island, um Hüttenwirt zu spielen. Beim Aufwärmen an einer Tasse Tee und mit etwas Warmem im Magen kursierten allerlei Wandergeschichten und Uwe erzählte natürlich Anekdoten vom Ausbruch: Dass die Hütte nur Asche abgekriegt hat, dass ein frisch gesetzter Markierungspfahl in Flammen aufging, weil das Gestein noch so heiß war, die Sache mit den Rucksäcken, die Pulke von Geologiestudenten, die im Sommer nach dem Ausbruch auf der Hütte nächtigten, von aufgeschmolzenen Schuhsohlen, fehlendem Regenwasser, und und und. Todmüde fielen wir in die Betten. Nur - einer schnarcht immer. Grmpf.

Nach dem Sonnenschein am Vortag war der nächste Tag ein eher weniger schönes Erwachen. Wasser kam zwar keins vom Himmel, aber der Wind heulte um die kleine Hütte. Kaum einen Fuß nach draußen gesetzt, wurde einem die Asche ins Gesicht geschleudert bis sie nicht nur in den Augen saß, sondern auch zwischen den Zähnen knirschte. Eingemummelt in Pulli, Jacke und Mütze und mit dem Rucksack auf dem Rücken stapfte ich langsam den Berg auf der anderen Seite herunter als der, von der ich gekommen war, immer dem Meer entgegen. In meinem Rucksack plätscherte das Wasser in meiner Wasserflasche hin und her und ein bisschen fühlte ich mich wie ein schwankendes Schiff auf Raumkurs, als ich da so langsam hinab wankte und der Wind mich von schräg hinten umpusten wollte. Langsam wurde der Schnee weniger und das Moos mehr, immer wieder Wasserfälle zwischendurch, einer schöner als der andere. Einem Amerikaner auf der Hütte zufolge sind es mindestens 37, so hatte er zumindest auf dem Weg bergauf gezählt. Das Nachzählen sparte ich mir und schoss lieber Fotos. Irgendwann wich das Moos langsam dem Gras, die ersten Schafe tauchten auf und die mir entgegen kommenden Wanderer wurden stetig mehr und hatten stetig kleinere Rucksäcke. Am Ende noch einmal ein riesiger Wasserfall, der Skogarfoss, dann nichts als Ebene mit vielen Autos, Bussen, Menschen.
Huch, hallo Welt, denke ich und pule mir eine Ladung Asche aus den Ohren.




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