Corvallis/Orgeon
Nach soviel Ferien ist es Zeit für ein
wenig Arbeit. Auf nach Corvallis an die Oregon State University oder
OSU, wie sie hier jeder nennt. Weil für die Studenten noch
Sommerferien sind, liegt das kleine Städtchen im Sommerschlaf, es
ist warm und sonnig und leer. Die verbliebenen Einwohner radeln die
Schachbrettstraßen entlang, immer geradeaus bis zum nächsten
Biosupermarkt. Meine Lunch-Pizza ist komplett organic, samstags
bis mittwochs glutenfrei und damit voll im Trend. Local ist
ein umsatzförderndes Zauberwort ohne das hier gar nichts läuft. Ist
es die Nähe zur Hipsterstadt Portland in Oregon? Oder sind die
Studenten schuld? Ich weiß es nicht und radle fröhlich grinsend in
meinem braunen Wollpulli auf einem geliehenen Hollandrad zur Uni.
Meine Gastgeber sind die beiden
Couchsurfer Gregg und Steph, selber begeisterte Radler und
Mountainbiker, Neuseelandliebhaber und Besitzer der
fröhlich-verspielten Cattledog-Pitbull-Mix-Hündin Brandy. Nach
stundenlanger Laborarbeit entführen sie mich per Mountainbike in die
nahen Berge und einer anstrengenden Strampelei bergauf mit toller
Aussicht auf Stadt und Umland folgt eine halsbrecherische
adrenalinreiche Fahrt bergab. Erst hinterher stelle ich fest, dass
der Berg der gefühlten tausend Höhenmeter den wenig beeindruckenden
Namen Dimple Hill trägt.
Weil man es mit Arbeit ja nicht
übertreiben soll und ja außerdem Sommerferien sind, werde ich nach
drei Tagen von Lucy eingesammelt, eine alte Neuseelandbekannte, mit
der aus einer Mitfahrgelegenheit ein mehrmonatiger Roadtrip wurde.
Vier Jahre später wollen wir ihn in einem neuen Land auf einem
anderen Kontinent fortsetzen: Auf geht es.
Cascades (Oregon und Washington)
Mit zwei dicken Rucksäcken auf der
Rückbank und dem Kofferraum voller Campingausrüstung ist Lucys
Honda schon voll, bevor der Trip überhaupt begonnen hat. Gen Osten
fahren wir der ersten Hügelkette entgegen und haben schon nach
kurzer Zeit im Willamette National Forest keinen Radioempfang mehr.
Die Stille füllen wir mit dem Versuch, die letzten vier Jahre per
Geplapper aufzuholen und einen groben Plan für die nächsten Wochen
zu entwerfen. Zwischendurch sorgt ein Bad im See für Erfrischung und
die Entdeckung eines ganzen Brombeerwaldes am Seeufer schafft nicht
nur dem Heißhunger Abhilfe, sondern sorgt außerdem für sehr lila
Finger, zerkratzte Gliedmaßen und einen ganzen Eimer Brombeeren. Was
wir damit wollen und wie lange sich ein Eimer Brombeeren in einem
Kofferraum hält – zweitrangig, vielleicht kann man ja per
Campingkocher Marmelade kochen?
Nachdem die Hügel hinter uns liegen
und wir durch ein kleines Örtchen mit dem herzerweichenden Namen
“Sweet Home” gedüst sind, erreichen wir Bend, ein Städtchen,
das überwiegend durch die mangelnde Größe seines Stadtzentrums
auffällt. Immerhin sieht es tiptop aus und der gepflegte Stadtrasen
ist so schick, dass man darauf Golf spielen könnte. Außer der
örtlichen Brauerei – voll lokal – gibt es wenig
Anziehungspunkte, was nur insofern ein Problem darstellt, weil man
auf einem Roadtrip ja nunmal meist viel Auto fährt. Mit Bier im
Kofferraum statt im Magen testen wir unsere Navigationsfähigkeiten
bei der Durchquerung von Portland und campen schließlich irgendwo im
Stockedustern am Fuße des Mount Hood, der erste von vielen Vulkanen
in den Cascades.
So nah sind wir am Mount Hood, dass man
ihn gar nicht sieht von dem Gewirr aus Hügeln, Wäldern und Seen an
seinem Fuß. Morgens ein Bad in spiegelglattem Wasser, dann geht es
weiter, auf vier Rädern die kargen braunen Hänge des Vulkans empor.
Mehrere hundert Meter aufwärts wird auf einem Schneefeld fleißig
Ski gefahren und während wir in T-Shirt und Shorts spazieren gehen,
kommen uns Ski-bepackte Menschen in Jacke, Schneehose und schweren
Stiefeln entgegen. Dieser seltsamen Kulisse entflüchten wir und
versuchen unser Glück am nächsten Vulkan: Mount St. Helens, der die
USA und den Rest der Welt bei einem großen Ausbruch 1980 schwer
erschreckte. Staunend klettern wir durch von Schlammlawinen
freigewaschene Flussbetten, eine Höhle aus einem mehrere Kilometer
langen Lavatunnel und Hügelhänge, die bis zum Horizont mit
umgepusteten Bäumen gespickt sind. Bei einer langen Tageswanderung
erklimmen wir den Rand des großen Lochs, das sich bildete als eine
ganze Bergflanke beim Ausbruch kollabierte und gen Tal rauschte.
Durch Asche und Geröll kraxeln wir aufwärts, einem Schritt vorwärts
folgt ein halber rückwärts, die Asche rutscht, ich habe Sand
zwischen den Zähnen. In der Ferne weiße Punkte verteilt über die
Vulkanflanke, beim näheren Hinsehen entpuppen sie sich als Big
Horn Sheep, wilde Schafe, deren Lebensraum bedroht ist. Unsere
6-Meilen-Wanderung ist irgendwie eher eine 10-Meilen-Wanderung als
wir mit müden Füßen und dreckig paniert in einer Mischung aus
Sonnencreme und Asche das Auto erreichen.
Seattle/Washington
Seattle ist grün und der Himmel
graublau und so ganz ohne Regen überhaupt nicht wie Seattle. Mit
Jakub und Dawid ein Bier im Garten von Jakubs Eltern, ein herrlich
entspannter Segeltörn auf dem großen Lake Washington mit Jakubs
Vater, während um uns herum das Stadtleben braust. Kichernd stehen
wir fassungslos vor der Gum Wall, ein aus Kaugummi geschaffenes und
von Passanten ständig erweitertes Stück Streetart, das einer
Mischung aus Minze und süßlichem Bubble Gum vor sich hinduftet. Wir
streunern durch Pike Place Market, eine Ansammlung aus Ständen,
Buden und Läden über mehrere Stockwerke in einem länglichen Haus
am Ufer der Elliott Bay und von dort zum nächsten Park, wo im Rahmen
des “Hempfests” einige Openair-Konzerte stattfinden. Eine lustige
Mischung Mensch mit latent gläsernem Blickgenießt die neugewonnene
Freiheit, dass in Washington Marihuana legalisiert wurde. Abends
trinken wir alle zusammen mit Sarah und der frisch eingetrudelten
Maren ein Bierchen und spielen das Spiel “Wie lange können wir
Maren schweigend angucken, bis sie merkt, dass sie gerade vor Jetlag
eingeschlafen ist?”
Kanufahren, Kaffee trinkend in der
Sonne liegen, durch grüne Parks schlendern. Im Sonnenuntergang am
Strand einem Konzert lauschen und dabei Marshmallows überm
Lagerfeuer rösten, die mit Crackern und Schokolade in Amerikas
leckersten Grillnachtisch verwandelt werden: S'mores, die so
heißen, weil man danach immer noch some more möchte. So wie wir some more Amerika.