HCMC ist keine tückische Krankheit, aber trotzdem ansteckend, weil es so unglaublich viel zu sehen gibt. Kirchen, Museen, Geschäfte, klein und groß, elegant und teuer oder chaotisch und bunt. Wolkenkratzer, Hochhäuser und kleine Gassen, Häuser, deren Adressen aus drei Hausnummern bestehen. Ein bisschen gefährlich ist es auch, zumindest wenn man auf die Idee kommt zu Stoßzeiten eine Straße überqueren zu wollen. Eine Schnecke, stetig kriechend, käme heil auf die andere Straßenseite - ein Eichhörnchen, abwechselnd flink hüpfend und abrupt stoppend, käme keine drei Meter weit. Links und rechts, vorne und hinten hupen Autos, schieben, drängeln, davor ein Meer von Mopedfahrern, ebenfalls hupend. Alles im Fluss, sehr sehr langsam kriechend, aber niemals stehenbleibend. Wie überquert man hier eine Straße? Wie eine Schnecke kriecht man langsam durch das Meer, immer kontinuierlich, einschätzbar für alle Zwei-, Drei- und Vierradfahrer, darauf vertrauend, dass sie an einem Zusammenstoß genauso wenig interessiert sind wie man selber. Augen zu und durch. Und tatsächlich - landet man heil auf der anderen Straßenseite.
Ho-Chi-Minh-City, so der ausgeschriebene Name von HCMC, wird von allen nur Saigon genannt. Saigon brummt und summt und floriert und einer solchen Stadt kann nicht von einem Tag auf den anderen ein neuer Name aufgedrückt werden. Eine Weltstadt mit 7 Millionen Einwohnern führt ihr eigenes Leben. Mit großen Augen liefen wir durch die Gegend, bestaunten das von Gustave Eiffel entworfene Postamt und die Kathedrale Notre Dame. Très francais, diese Stadt! Ein Rathaus, pompöser denn je, und natürlich mit einer Statue von Onkel Ho im Park davor. Ein Wiedervereinigungspalast für ein ehemals geteiltes Land in sozialistischer Optik. Und ein Museum, das den ganzen Schrecken eines Krieges in Fotos zusammenfasst.
Das "War Remnants Museum" war uns bereits nach unseren ersten zwei Tagen in Vietnam von zwei englischen Backpackern empfohlen worden. "Schrecklich schön", sagte Alison damals, "aber nichts für schwache Nerven!"
Die Fotos geben ihr recht. Verkohlten Leichen werden Namen gegeben, missgebildete Föten ausgestellt, Fotos von behinderten Kindern mit Familien- und Leidensgeschichten abgedruckt. Ein Journalist hielt die Erschießung von zwei Jungen in einem Reisfeld auf, um ein Foto zu machen. Als er sich umdrehte, hörte er zwei Schüsse. Die letzten Fotografien von Kriegsreportern, bevor ihr eigener Helikopter abstürzte, sie tödlich getroffen, ermordet, verschleppt oder eingekerkert wurden. Oder einfach verschwanden. Fotos von entlaubten Mangrovenwäldern, mit Kindern, die auf dem verseuchten Boden spielen. Fotos von den gleichen Kindern, 25 Jahre später, nur Haut und Knochen, mit seltsam verbogenen Gliedmaßen, die typischen Symptome. Ein Mann, dessen Nase von einem Tumor auf Elefantenrüsselgröße aufgebläht ist. Ein Baby ohne Augäpfel. Der bodenlos verzweifelte Blick eines dreck- und blutverschmierten Soldaten.
Mir dämmert, dass die steppenartigen Gefilde mal tiefer Dschungel waren, die wir auf der Zugfahrt gesehen haben.
Etwas mitgenommen waren wir nach dieser Zeitreise, die in ihrer Schrecklichkeit so schön war, dass wir zwei Tage brauchten, um uns durch das ganze Museum zu kämpfen. Dennoch hatte Saigon auch sehr schöne und fröhliche Seiten. Ein Markthaus mit wahnsinnig engen Gängen und wahnsinnig überfrachteten Ständen, in denen man sich darum riss, Nico die schönsten und günstigsten Unterhosen Vietnams aufzuquatschen. Ein Restaurant mit sterne-würdigem Essen in einem kerzenerleuchteten stillen Hinterhof. Ein Luxus-Restaurant auf einem Wolkenkratzer, das uns auch ohne Essenfassen auf ihre Terrasse ließ um die Aussicht genießen zu können. Eine ganze Straße voller niedlicher Antiquitätenläden, die zu Nicos Entzücken auch Edelsteine verkaufen, oder zumindest das, was sie dafür halten.
Und dann heißt es schon wieder Sachen packen. Diesmal endgültig. Schon vorbei war die Reise, für die wir am Anfang gefühlt doch soviel Zeit hatten. Aber immerhin: Wir waren die komplette Küste Vietnams von Nord nach Süd im Zug hinuntergefahren und haben damit bis auf eine Ausnahme alle Zugstrecken Vietnams bereist. Einiges sehr touristisches war auf unserer Route, aber auch vieles, was nicht zu jeder Standard-Vietnamreise gehört. Was ich allerdings trotz ausgiebiger Recherche noch nicht ergründen konnte, ist die Sache mit dem Mundschutz. Warum tragen vietnamesische Frauen bloß ständig einen Stoff-Mundschutz? Um sich vor Staub und Dreck zu schützen, so war meine Vermutung. Dummerweise werden die Stoffdinger auch auf dem platten Land, fernab aller Feinstaubquellen fleißig getragen, und nicht nur im dichten Straßenverkehr von Hanoi und Saigon. Ein australischer Hostelbesitzer verriet mir, das sei um sich vor der Sonne zu schützen. Unpraktischerweise ist es hier schließlich "in", möglichst weiß zu sein, während es bei uns im sonnenarmen Nordeuropa als gutaussehend gilt, wenn die Haut möglichst braungebrannt ist. Doch auch in Innenräumen und Zugabteilen wird gerne und häufig auf die Maske zurückgegriffen, sogar in Nachtzügen, wo nun wirklich keine Gefahr besteht, übermäßig braun zu werden. Oder liegt es am Geruch?
Zu meiner Fassungslosigkeit griff eine Vietnamesin, die uns in einem Zug gegenüber saß, in Ermangelung einer Stoffmaske auf das erste zurück, was sie in ihrer Tasche fand: Brot. So saß sie da mit ihrem Stück Baguette, das sie fleißig vor ihre Nase hielt und ich schnüffelte vorsichtig an mir und Nico, ob wir vielleicht Schuld an diesem merkwürdigen Verhalten sein könnten. Fehlanzeige. Später rollte sie sich für ein Nickerchen auf zwei Sitzen zusammen, weiter mit dem Brot vor der Nase. Im Schlaf fiel es ein paar Mal herunter, wurde aber jeweils gleich wieder aufgesammelt, sauber abgeputzt und auf seinen Nasenplatz zurückgesetzt.
Kulturunterschiede sind etwas sehr merkwürdiges...
Nun bin ich also wieder zuhause, zusammen mit einem blöden Schnupfen, den ich der Kombination aus frostiger Klimaanlage und eisigen 8 Stunden Aufenthalt am arktischen Dubaier Flughafen zu verdanken habe. Ein bisschen traurig, dass die Reise nicht länger sein konnte, aber auch froh, Familie und Freunde wiederzusehen. Glücklich, den Reis auch mal gegen Nudeln, Kartoffeln oder Brot eintauschen zu können und um viele schöne Erfahrungen und Erlebnisse reicher. Nur wenige Tage noch bis ich Deutschland wieder den Rücken kehren werde - diesmal aber für ein weniger weit entferntes Reiseziel, denn Zürich in der schönen Schweiz wird mein nächster Studienort.
Ich danke allen fleißigen Lesern für euer kontinuierliches Schmökern und hoffe euch auf der nächsten Reise auf diesem Blog zu neuen Abenteuern begrüßen zu können! Das Globuswandeln hat so schnell kein Ende... daher: Bis bald!
Freitag, 7. September 2012
Montag, 27. August 2012
Hue, Hoi An und das Paradies
Mit dem ersten Zug des Tages machten wir uns auf den Weg nach Hue,
einer Stadt, die als das intellektuelle Herz Vietnams bezeichnet
wird. Fasziniert stellte ich beim Blick aus dem Fenster fest, dass
Vietnam von hier aus gen Süden deutlich trockener wird. Gar nicht
mehr soviele Wasserpfützen, kaum noch Felder, die an Seen erinnern
und wow – ist das etwa ein Fleck mit Sand? Reinem weißen Sand?
Tatsache, nicht zu fassen. Statt Wasserspinat wachsen hier auch mal
Kautschukbäume, statt Reis auch mal Maniok, statt Seerosen auch mal
bunte Blumen auf dem Trockenen. Auf weiten, fast steppenartig
anmutenden Wiesen sieht man mal immer wieder runde und ovale Löcher
– Bombenkrater, herrührend von den Millionen Tonnen Munition, die
auf vietnamesischem Boden landete und alles in Schutt und Asche
legte, in einer Masse, die alles übertrifft, was im zweiten
Weltkrieg in ganz Europa abgeworfen wurde.
Hue war heiß. Sehr heiß. 37°C wurde gemunkelt, bei altbekannten
Luftfeuchtigkeitswerten. So heiß, dass man nur von Schatten zu
Schatten huscht und sofort einen Fächer von einem der
Fächerverkäufer kaufen würde, wenn sie denn mal da wären, wenn
man sie braucht und nicht immer nur dann, wenn es gerade ganz gut
auszuhalten ist. Nachdem unser ehrgeiziges Unterfangen an neues
Bargeld zu kommen ein glückliches Ende gefunden hatte, ließen wir
Hue erstmal Hue sein und chillten bei der coolen Klimaanlage in
unserem Zimmer ein bisschen ab. Erst als die größte Hitze vorbei
war, wagten wir uns wieder hinaus und konnten Hues berühmte
Zitadelle aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur von außen
anschauen. Die liegt versteckt hinter bombastischen Stadtmauern und
ihr innerster Teil heißt „Die verbotene Purpurstadt“. Was sich
hinter diesem märchenhaften Namen verbirgt, bleibt also weiterhin
erstmal unserer Fantasie überlassen.
In der Abenddämmerung fanden wir einen idyllischen Platz direkt am
Parfümfluss, der sich durch Hue schlängelt und genossen bei einem
frischen Saft die Aussicht auf den breiten Fluss, die brummende Stadt
und zwei Brücken, über die sich eine nie enden wollende Karawane
von Motorrädern wälzte. Das war solange idyllisch bis – WUMMTA,
UTZ, UTZ – an einem der umliegenden Straßenstände das Bedürfnis
nach Disco sehr groß wurde. Auf vietnamesisch natürlich. Wie alle
Asiaten (zumindest gefühlt), lieben die Vietnamesen schnulzigen und
peppig-elektronischen Pop und auch Sachen wie Modern Talking stehen
hoch im Kurs.
Die Zeit rennt und rennt und rennt uns davon. Ständig muss man
Sachen von seinem Reiseplan streichen und aussortieren und hat immer
noch zu wenig und will doch auch nicht hetzen und trotzdem etwas
sehen. Die Kaisergräber in Hue mussten dran glauben, denn am
nächsten Tag ging es bereits weiter nach Hoi An. Und nein, weil die
Zeit so knapp ist, lässt sich Nico keinen Anzug schneidern und ich
mir kein Kleid. Auch wenn das hier eigentlich alle machen und Hoi An
das Zentrum aller Schneider und aller Kleider und aller Seide ist.
Hoi An ist klein und bunt und vor allem alt – wie durch ein Wunder
ist es quasi die einzige vietnamesische Stadt, die während des
Vietnamkriegs nicht völlig ausgebombt wurde. Ein paar wenige Straßen
bilden das Stadtzentrum, sehr idyllisch an einem Fluss gelegenen und
überquellend mit Klamottenläden, Souvenirgeschäften, Restaurants
und kleinen Cafés. Nachdem Nico seine über alles geliebten
Flipflops in Indonesien verloren hatte, kam er hier in den Genuss von
maßgeschneidertem Ersatz – dafür reichte die Zeit dann doch. Auch
ich war ein, zwei, fix doch im Besitz zweier Sommerkleider, wenn auch
von der Stange. Endlich fand sich auch ein Fächermensch zur
richtigen Zeit am richtigen Ort und so zog ich fortan fröhlich
fächernd durch die Stadt. Abends saßen wir bei Bier und leckerem
vietnamesischen Essen am Fluss und beobachteten die schwimmenden
Teelichter, die von Touristen gekauft und ausgesetzt den Fluss
hinuntertrieben. Von Hoi An sind es nur wenige Kilometer zu Strand
und Meer, was wir am nächsten Tag mit geliehenen Fahrrädern
ausnutzten. Ein herrlicher Sandstrand erwartete uns, erstaunlich
ruhig für einen Stadtstrand, mit dem einzigen Nachteil, dass man
aufgrund des Windes ziemlich gesandstrahlt wurde. Das dem Peeling
folgende Salzbad in unglaublich warmem Wasser machte die
Kosmetiksession komplett, abgerundet wurde das ganze durch einen
ersten Hauch Ganzkörperbräune – es war schließlich unser erster
Besuch am Strand!
Nha Trang war unser nächster Halt oder vielmehr der nächste Halt
unseres Zugs. Uns hielt hier nichts, denn Nha Trang hat den Ruf des
vietnamesischen Ballermanns und darauf hatten wir, oh Wunder, eher
wenig Lust. Wenn man die Wahl hat zwischen Nha Trang und dem
Paradies, mal ehrlich, wer nimmt dann mit schlechter Musik, billigem
Fusel und grölenden Menschen vorlieb?
Das Paradies? Ja, wir haben das Paradies gefunden. Das Paradies liegt
60 km nördlich von Nha Trang an einem kilometerlangen weißen
Sandstrand, dessen eines Ende in einem kleinen Örtchen endet, das
andere an ein paar Felsen, die sich gut zum Schnorcheln eignen. Das
Meer ist türkisblau und glasklar und kleine Wellen schwappen in
regelmäßigen Abständen an den Strand. Zwischen lauter Palmen
stehen kleine Bambushütten mit etwas löchrigen Dächern, unser Bett
steht gar nur notdürftig mit einer Plane überdacht unter freiem
Himmel. Aber weil es bis zur Abreise nicht regnet, macht das nichts.
Im Paradies ist das Wetter nämlich meistens gut. Sonnig und warm.
Sehr sonnig und warm. Fast schon zu sonnig und warm. Der Strandsand
ist so heiß, dass man nur in Flipflops drüberlaufen kann und selbst
das wird ziemlich mollig von unten. In die Sonne legen tut man sich
lieber nicht (außer ein paar verrückten Engländern), stattdessen
sucht man sich ein schattiges Plätzchen unter einem
Bambusschattenspender. Im Paradies gammelt man den ganzen Tag am
Strand rum und wenn man nicht herumgammelt, dann liest man mal ein
Buch. Oder legt sich in die Hängematte. Oder vielleicht lieber doch
an den Strand. Eine Runde baden. Weiterlesen. Oh, Buch schon durch,
naja, ab ans nächste. Schnorcheln. Hängematte.
Wenn man nachts im Paradies badet, dann leuchtet und glitzert es um
dich herum, weil Millionen kleine bioluminiszierende Algen dir
Gesellschaft leisten.
Das Paradies hieß "Jungle Beach" und war eine Mischung aus
Ferienlager, Hippie-Kommune und Ressort. Das heißt, dass einem für
erwähnte rustikale Unterkunft verhältnismäßig viel Geld aus der
Tasche gezogen wird und trotzdem alle glücklich sind. Das Paradies
ist nämlich ganz und gar konkurrenzlos. Dreimal täglich gibt es
Essen und dann sitzen alle 25 Paradiesbewohner zusammen und lachen
und klönen und erzählen Reisegeschichten oder schweigen auch
einfach mal nur und irgendwann bemerkt jemand, dass das Essen etwas
besser und reichlicher sein könnte und alle nicken zustimmend und
dann wird die nächste Reisegeschichte ausgepackt. Überlandbusse,
Nepalpläne, Reiserouten. Zug versus Bus. Ob Sapa und Halong zu
touristisch sind. Kambodscha und Laos. Brennende Regenwälder auf
Borneo. Abends sitzen wir am Strand und schlürfen Bier, genießen
die Kühle und beobachten die Fischerboote, die mit hellen Lampen
versuchen Tintenfische anzulocken. Der Mond ist hell und das Wasser
so klar, dass man bauchtief im Wasser stehend noch seine Füße sehen
kann.
Das Paradies hat nur einen einzigen Nachteil: Nach drei Tagen muss
man weiter. Schnüff. Seufz. Sachen packen. Auf geht’s.
Mittwoch, 22. August 2012
Dschungel und Höhlen
Ein allerletztes Mal. Ein allerallerletztes Mal wollten wir versuchen
mithilfe des organisierten Touristensystems etwas abseits des
organisierten Touristensystems zu reisen. Eine letzte Chance, sonst –
so hatten wir geschworen – würden wir hier nie wieder eine Tour
buchen. So entschlossen, hockten wir im frühmorgendlichen Halbdunkel
vor dem Büro einer Agentur in Hanoi, frisch eingetrudelt mit dem
Nachtzug aus Sapa, der uns um halb 5 Uhr am Bahnhof abgesetzt hatte.
Um uns herum erwachte langsam die Stadt. Die Vietnamesen sind wahre
Frühaufsteher und morgens sprießen an allen Straßenecken und
-enden plötzlich kleine Straßencafés aus dem Boden, aufgebaut aus
ein paar klitzekleinen Plastikstühlen und -tischchen. Es duftete
nach Phó, der typischen Nudelsuppe, die gern zum Frühstück
verspeist wird, und nach Kaffee. Frauen trugen riesige geschulterte
Körbe mit Obst und Gemüse die Straßen entlang und es wurde fleißig
gehandelt und getratscht und diskutiert und über uralte Handwaagen
abgewogen und erneut diskutiert. Manchmal setzte man sich einfach mit
unterschiedlichen Waren zusammen und vergrößerte so sein Angebot:
Die Frau mit den frisch gerupften Hühnchen hockte neben der Frau mit
zwei riesigen Körben Gemüse und die Frau mit den befruchteten
Enteneiern (hier eine Delikatesse!) verhalf der Nudelsuppe des
angrenzenden Straßencafés zur Perfektion. Die Zeitungsfrau hockte
sich dazu und schlürfte einen Kaffee und teilte erst weiter
Zeitungen aus, nachdem sie sie samt und sonders selber gelesen hatte.
Zwei Männer von der Müllabfuhr schoben einen großen Müllcontainer
und sammelten die Müllhäufchen ein, die die Anwohner vorher penibel
auf ihren Bürgersteigen zusammengefegt hatten. Auch unser Frühstück
stammte von einem Straßenstand: Leckere kleine Baguettes,
wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit,
gefüllt mit Omelette, Zwiebel, Minze und ein bisschen Fleisch.
Als die Sonne längst aufgegangen war, trafen wir unsere restliche
Reisgruppe: Ein Ehepaar aus Stuttgart mit ihrer 15-jährigen Tochter
Carla, und zusammen ging es zum Cuc Phuong National Park über viele
staubige Straßen mit vielen verrückten Busfahrern. Um den Primaten-
und Affenmangel aus Indonesien auszugleichen, besuchten wir zuerst
ein Primatenzentrum, in dem aus Gefangenschaft und Wilderei befreite
Primaten wieder aufgepäppelt und weitergezüchtet werden, um sie
eines Tages wieder in die freie Wildbahn zu entlassen.
Nachmittags
wanderten wir durch den dichten Dschungel des Parks und entdeckten
allerhand an Krabbeltieren: Ein kunterbunter Hundertfüßler,
Spinnen, so groß wie ein Handteller mit langen Beinen (das freute
besonders Carla mit ihrer Spinnenphobie!) und Schmetterlinge mit der
gefühlten Spannbreite eines Unterarms. Nachdem Carla sichergestellt
hatte, dass keine einzige Spinne mehr in ihrem Zimmer war, saßen wir
abends Karten spielend und Bierchen schlürfend auf der Terrasse
unserer direkt im Nationalpark gelegenen Herberge und lauschten den
Dschungelgeräuschen – dank Stromausfall bei Kerzenschein, was das
ganze besonders gemütlich machte.
Am nächsten Tag bekamen wir Verstärkung von zwei Spaniern und
machten gemeinsam eine Fahrradtour mit den am fürchterlichst
eingestellten Fahrrädern der Welt (Ich vermiss mein Fahrrad!!). Über
viele Sandwege und durch kleine Dörfer ging es bis zu einem Berg,
dessen Gipfel eine kleine Pagode schmückte. 500 Stufen führten
hinauf, in Stufenhöhen, die latent eher für 3m-Menschen gemacht
waren – wieso bauten die kleinen Vietnamesen bloß so hohe Stufen??
Bei 34°C und 96% Luftfeuchtigkeit (später dann auch 100%) war die
Krabbelei zur Spitze ein anstrengendes Unterfangen, bei dem man
ungefähr genauso nass hinterher war, als hätte man gerade gebadet
(nur weniger frisch). Besonders schön ist es, wenn das Salz auf der
Haut zu kleinen krümeligen Kristallen anwächst, die dank der
Schicht aus Sonnencreme richtig schön an der Haut kleben...
Später ließen wir uns per Ruderboot durch die Grotten von Trang An
paddeln, ein Gewirr von unter Wasser stehenden langgestreckten
Höhlen, die mehrere kleine Seen und Flüsschen verbinden. Auch der
nächste Tag wartete mit mehreren Bootstouren auf, unter anderem zu den
sogenannten „floating Villages“, Dorfgemeinschaften, die früher
mehr oder weniger ausschließlich aus bewohnten Bootskolonien
bestanden. Inzwischen wohnen die meisten in festen Häusern an Land,
aber da drumherum alles unter Wasser steht, findet das meiste Leben
auf dem Wasser statt (inklusive Fernsehgucken, siehe Foto unten). Der durch das Dorf fließende Fluss ist
gleichzeitig Bürgersteig, Straße, Marktplatz, Waschanlage und
Hafen, was sehr faszinierend anzusehen ist.
Überhaupt Wasser! Manchmal scheint es mir, dass ganz Vietnam nur aus
Wasser besteht! Überall wo es seichte Wasserflächen gibt, wird Reis
angebaut und durch die Reisfelder ziehen sich lange Lehmdämme über
die man trockenen Fußes marschieren kann. An etwas tieferen Stellen
wird Wasserspinat geerntet und Seerosen, die als Viehfutter zu
Bündeln zusammengeschnürt werden. Überall angeln und fischen die
Menschen oder sammeln Wasserschnecken vom Untergrund. Sogar die
Rinder liegen hier im Wasser: Für Wasserbüffel gibt es nichts
schöneres als sich in halbtiefen Pfützen zu suhlen.
Nach Ende unserer sehr gelungenen Tour (die letzte Chance hat sich
gelohnt!) ließen wir uns in Ninh Binh (gesprochen Ning Bing)
absetzen, einer industriell geprägten Provinzstadt, die für
Einheimische deutlich interessanter ist als für Touristen. Wir
schlenderten über einen riesigen Markt, wo einfach alles verkauft
wurde: Gemüse, Obst, alles erdenkliche an Kräutern und Gewürzen in
flachen runden Körben von enormem Durchmesser und eine große
Auswahl an Fleisch, Fisch und anderem Meeresgetier, sowie Schnecken
und Muscheln. Da sich bei den hohen Temperaturen und den
eingeschränkten Kühlmöglichkeiten nichts besonders lange hält,
wird alles lebendige möglichst lange am Leben gelassen und so
schwammen die Fische dicht an dicht in riesigen Wannen, die Krebse
krabbelten durch ihre Schüssel und stapelten sich übereinander bis
sie fast den Schüsselrand erreichten und die Enten waren der
makaberen Situation ausgesetzt, dass sie mit zusammengebundenen Füßen
auf dem Boden sitzend auf ihren kopflosen gerupften Artgenossen
guckten, der auf einem Tablett präsentiert wurde.
Von Ninh Binh reisten wir mit dem Zug bis nach Dong Hoi, wo wir von
einem Jeep eingesammelt und zu unserer nächsten Unterkunft gebracht
wurden: Phong Nha Farmstay, ein kleines Guesthouse mitten im
Nirgendwo mit vielen Backpackern und ganz weit weg vom Trubel. Ganz
in der Nähe befand sich der Phong Nha Ke-Ba Nationalpark mit der
größten Höhle der Welt. Da diese leider noch nicht begehbar ist
(sie wurde erst 2009 entdeckt), mussten wir mit der kleineren Phong
Nha Höhle vorlieb nehmen, die aber ebenfalls beeindruckend schön
war. Riesige Stalagtiten hingen wie riesige Zähne von der Decke und
waren namensgebend für die Höhle, deren Namen übersetzt
„Drachenhöhle“ heißt. Stalagmiten reckten sich ihnen entgegen
und das von der Decke tropfende Gemisch aus Kalk und Sand formte
riesige Gebilde, von denen manche an Tropfsandburgen am Strand
erinnerten, während andere eher nach Korallenriffen und schwarzen
Rauchern aus der Tiefsee aussahen. Während des amerikanischen Kriegs
versteckten die Vietnamesen eine schwimmende Brücke tagsüber in der
Höhle und holten sie nachts hervor, um den Warentransport über den
Fluss zu ermöglichen. Den Amerikanern war lange nicht klar, wie zur
Hölle durch dieses unwegsame Karstgebiet immer noch Nachschub
gelingen konnte bis sie auf die Idee kamen mit Raketen das ganze Tal
zu erhellen und Fotos zu schießen. Dabei entdeckten sie die Höhle
mit der Brücke und sandten prompt ein paar Raketen gen
Höhlenmündung, bei denen ein paar Drachenzähne dran glauben
mussten. Nicht alle trafen die Höhlenöffnung und so kann man heute
noch viele Einschlagskrater im umliegenden Gestein sehen.
Viel zu schnell war die Zeit in diesem abgelegenen Teil Vietnams
vorbei, wo man als Weißer noch winkend und mit „Hello“-Rufen im
Dorf von den Kindern empfangen wird. Während unserer Radtour zur
Höhle trafen wir auf eine Horde Kinder, die gerade Schulschluss
hatten und nun nach Hause radelten. Während einige sich kurzerhand
anhaltermäßig bei Nico auf den Gepäckträger setzten und ein Stück
mitfuhren, waren anderen ganz erpicht darauf, uns in einem Wettrennen
abzuhängen. Viel Gelächter, Gewinke, Gekreisch und noch mehr
„hello“ und ein paar mal „where you from?“, altbekannt aber
ohne angebotenen Trödelkrimskrams, den niemand braucht. Das Leben
ist schön, Vietnam erst recht.
Samstag, 18. August 2012
Where you from?
„Where
you from? Where you from? Buy from me!“, schallte es aus 25 Mündern
und 25 Paar Hände voller geknüpfter Freundschaftsbändchen,
billiger Blechohrringe und Armreifen, bunten Haarbändern und
bestickten Taschen reckten sich uns entgegen. Die vier spanischen
Frauen, die zu unserer Wandertruppe gehörten, zeigten etwas ratlos
auf ihre Arme, an denen jeweils schon vier Bändchen und ein Armreif
baumelte – aber diese Ausrede zog nicht. Wer sich zu vier
Freundschaftsbändchen hat gequatschen lassen, der kauft bestimmt
noch ein fünftes und so erschallte der Chor von neuem: „Buy from
me, buy from me!“
So
hatten wir uns das eigentlich nicht vorgestellt. Wer nach Sapa kommt,
der macht in 90% aller Fälle eine Tour mit, die durch die Dörfer
der örtlichen Minderheiten führt, z.B. die der H'mong und der Roten
Dzao und einen „Homestay“ beinhaltet, also die Übernachtung bei
einer einheimischen Familie. Weil das interessant klang und soviele
begeisterte Menschen ja nicht irren können, machten wir also das
gleiche und wurden morgens von einer fröhlichen Gruppe Mädels in
schwarzen Trachten eingesammelt, die allesamt halb so groß waren wie
ich. Aufgrund latent bruchstückhafter Englischkenntnisse auf der
einen und fehlender Vietnamesisch- und H'mongkenntnisse auf der
anderen Seite verlief der Kontakt zu unserer Reiseführergruppe meist
nach dem immergleichen Schema:
„Where
you from?“ (Where
you from
scheint in Sapa eine ähnliche Begrüßungsformel zu sein wie How
are you
in den USA.)
„I'm
from Germany!“
„Ooooh...
what you name?“
„I'm
Julie and this is Nico. And what's yours?“
„#*#*#*
(unaussprechliches
Geräusch)“
Irritierte
Pause unsererseits. Dann: „Mmh, that is very complicated.“ (Wort
eh schon wieder vergessen.)
„How
old you?“
Ich:
„I'm 23.“
Nico:
„I'm 26.“
Beide:
„And you?“
„(Setze
beliebige Zahl zwischen 11 und 56 ein)“
Von
Sapa führte die Tour bergab, aus dem malerisch am Berghang gelegenen
Städtchen mit dem Charme eines Bergkurorts heraus und entlang einer
geteerten Straße an Marmorfelsen vorbei. Irgendwann führt der Weg
dann Gott sei Dank nicht mehr an der Hauptstraße entlang, sondern
entlang von lehmigen Pfaden und Wegen, die sich durch die
Reisterrassen schlängeln. Während im Rest des Landes überwiegend
zweimal im Jahr Reis geerntet werden kann und im fruchtbaren Süden
sogar eine dreifache Ernte möglich ist, gibt die bergige Region und
das angenehm kühle Klima hier in der nördlichen Bergregion nur eine
einzige Reisernte her und die Felder standen noch in voller Frucht.
Je nach Reissorte erschien das Meer von Reishalmen von oben gesehen
eher gelbgrünlich oder leuchtend satt grün und rund um uns herum
gluckste das Wasser, das von den Bergbächen abgezweigt und mit
kleinen Lehmwällen über die Felder geleitet wird.
In regelmäßigen Abständen standen am Weg Stände mit Erfrischungsgetränken, Snacks und Souvenirs und wo immer die Wandergruppe zum Lunchen hingeführt wurde, wurde sie sofort von einer Horde Trachtenmädchen empfangen, die die immer gleichen Sachen verkaufen wollten und von denen die Hälfte eher die Schulbank drücken sollte als Touristen Sachen anzudrehen, die sie eh nicht haben wollten. Am Nachmittag erreichten wir unseren Homestay – da die Anzahl der Dorffamilien allerdings gering ist im Vergleich zur anströmenden Tourimenge, wurde kurzerhand ein zusätzliches Haus gebaut, das jede Menge dünner Matratzen und Toilette und Dusche mit warmem und kaltem Wasser beherbergte und auch sonst nichts an westlichem Komfort missen ließ. Außerordentlich typisch und echt also. Nach einem herrlich erfrischendem Bad im Sonnenschein diskutierten Nico und ich bei einem Bierchen, warum uns das Reisen in Vietnam trotz aller Landesschönheit bisher noch nicht so vom Hocker gerissen hat.
In regelmäßigen Abständen standen am Weg Stände mit Erfrischungsgetränken, Snacks und Souvenirs und wo immer die Wandergruppe zum Lunchen hingeführt wurde, wurde sie sofort von einer Horde Trachtenmädchen empfangen, die die immer gleichen Sachen verkaufen wollten und von denen die Hälfte eher die Schulbank drücken sollte als Touristen Sachen anzudrehen, die sie eh nicht haben wollten. Am Nachmittag erreichten wir unseren Homestay – da die Anzahl der Dorffamilien allerdings gering ist im Vergleich zur anströmenden Tourimenge, wurde kurzerhand ein zusätzliches Haus gebaut, das jede Menge dünner Matratzen und Toilette und Dusche mit warmem und kaltem Wasser beherbergte und auch sonst nichts an westlichem Komfort missen ließ. Außerordentlich typisch und echt also. Nach einem herrlich erfrischendem Bad im Sonnenschein diskutierten Nico und ich bei einem Bierchen, warum uns das Reisen in Vietnam trotz aller Landesschönheit bisher noch nicht so vom Hocker gerissen hat.
Vietnam
ist unglaublich touristisch und die Massen an Touristen verteilen
sich leider nicht, sondern werden in immer gleichen Bahnen von
Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit gelotst. Drumherum ist ein
ausgefeiltes System an Reiseagenturen und -büros installiert, die
einen mehr die anderen weniger dubios, die diese Lotserei übernehmen.
Auf eigene Faust ist es schwierig von dieser Massenwanderung
wegzukommen, einerseits weil man Highlights wie die Halong-Bucht
natürlich auch gern sehen möchte, andererseits weil die
einheimischen Strukturen abseits der Touriwege schwierig zu benutzen
sind. Natürlich gibt es normale Busse, diese fahren aber zu Zeiten,
die man von nicht-englischsprachigen Menschen erfragen muss, genauso
wie ihre Routen, die sich gerne ändern. Hinweisschilder und
Richtungsweiser sind ähnlich rar wie angeschnallte Autofahrer. Es
gibt Autos, aber Nicht-Vietnamesen dürfen hier nicht Auto fahren und
Taxifahrer versuchen gerne, einen über den Tisch zu ziehen. Man kann
Motorräder mieten, muss aber höllisch auf den Verkehr aufpassen,
denn Verkehrsregeln gibt es hier schlichtweg nicht. Es hat einfach
derjenige Vorfahrt, der am lautesten hupt und am wenigsten so
aussieht, als würde er noch anhalten können. Im Vergleich zu
Indonesien fahren die Menschen hier seltsam langsam, oft nur 50 km/h
auf breiten und gut ausgebauten Straßen, überholen aber wie die
Bekloppten und hupen, statt sich umzusehen. In Indonesien war die
Hupe zwar auch primär ein Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen,
aber kein Ersatz fürs Gucken und so kommt es uns so vor, als ob es
hier deutlich häufiger Beinah-Unfälle gibt.
Vielleicht,
vielleicht haben wir auch einfach noch keine weniger touristischen
Gefilde erreicht und es wird alles noch viel angenehmer. Was ja auch
gar nicht heißen soll, dass das Reisen hier unangenehm ist. Es ist
bloß so anders als das, was wir erwartet hatten, und auch so
unterschiedlich vom komplett untouristischen Borneotrip. Ein
Kulturschock kann einen anscheinend auch umhauen, wenn er plötzlich
seine Richtung ändert!
Montag, 13. August 2012
So long, Halong!
… and thanks for all the fish! Aber
zuerst einmal: VIETNAM! Ein kommunistisches Land voller
geschäftstüchtiger Kapitalisten. Ein Land, in dem man für Geld
haben kann, was man will, aber in dem man nicht auf Facebook oder
seinen eigenen Blog zugreifen kann, dank Zensur. Ein Land, das weiter
nördlich liegt und in dem es trotzdem wärmer ist. Ein Land, in dem
der Verkehr gesitteter, aber trotzdem gefährlicher ist als in
Indonesien, weil die Vietnamesen zu sturköpfig zum Ausweichen sind.
Ein Land, in dem es – falls das überhaupt möglich ist – NOCH
mehr Mopeds und Motorräder auf den Straßen gibt. Ein Land mit einer
so abgedrehten Sprache, dass man nie weiß, ob die Menschen einen
gerade beschimpfen oder was nettes sagen; dass sie weniger lachen
macht es auch nicht einfacher.
Vietnam haute uns erstmal ziemlich aus
den Socken, weil es so anders war als erwartet. Ich hätte
beispielsweise geschätzt, dass es sich in etwa auf dem gleichen
Entwicklungslevel wie Indonesien befindet, aber da lag ich komplett
daneben. Dank des ausgeprägten Tourismus hat der Atem der großen
weiten Welt hier längst Fuß gefasst, in Hanoi wimmelt es vor
kleinen Restaurants, Boutiquen und Souvenirläden. Über allem hängt
der Geruch aus einem Mischmasch aus Mopedabgasen, Essensgerüchen und
Kaffeeduft – hier gibt es eine richtige Cafészene und man kann aus
einer Vielzahl von Kaffeesorten auswählen, welche man in der
nächsten Tasse verkosten möchte. Langsam verkosten, wohlgemerkt,
denn der Kaffee ist so stark, dass man sonst Gefahr läuft seine
Geschmacks- und Koffeinnerven zu überreizen.
Die Vietnamesen sind ein äußerst
geschäftstüchtiges Völkchen und haben es sehr schnell heraus, dass
weiße Touristen schon allein aufgrund von Verständigungsproblemen
mehr oder eher weniger freiwillig bereit sind, den doppelten Preis zu
zahlen. In den Straßen ist es manchmal schwierig sich in Ruhe
irgendetwas anzugucken, weil man sofort von Straßenhändlern
abgepasst wird. Nein, ich möchte keinen hölzernen Fächer kaufen,
danke ich habe noch eine Flasche Wasser im Rucksack, nein ich möchte
wirklich keine Bananen, nein, auch die Orangen nicht, nein, gar kein
Obst, wirklich nicht. Ich möchte kein Plastikarmband, nein, auch
keinen Regenschirm, auch kein pappiges Zuckergebäck zu unverschämten
Preisen, nein danke, der Reishut ist sehr schön, aber ich möchte
ihn nicht kaufen, NEIN! Schräg wurde es, als eine Dame mit Reishut
und mit zwei an einer Tragestange befestigten Körben ihre Utensilien
spontan über Nico hängen wollte – wahrscheinlich um für das
hoffentlich folgende Foto Geld fordern zu können. Völlig
überrumpelt entzog sich Nico in einer geduckten Fluchtbewegung und
war fortan sehr vorsichtig in der Nähe von behüteten und mit Körben
beladenen Frauen. Aus einem uns bisher noch unbekannten Grund gibt es
auch immer wieder Leute, die unbedingt Nicos Sandalen kleben wollen
und sich auf seine Füße stürzen. Das resultiert auf Nicos Seite
meist in einem erschreckten Sprung seitwärts und der leicht
fassunglosen Frage: „Was haben die bloß immer mit meinen Schuhen,
die sehen doch noch gut aus und sind gar nicht kaputt?“
Drei Tage verbrachten wir in Hanoi, der
quirligen Großstadt mit engen Gassen, Straßenrestaurants, Häusern
im romantisch-französischen Stil über mehrere Etagen und mit Bäumen
gesäumten Straßen. Wir promenierten um den See Hoan Kiem und
besichtigten den Ngoc Son Tempel und die Ein-Stelzen-Pagode, winkten
dem in der Mitte des Sees thronenden Wahrzeichen Hanois zu, dem
Schildkrötenturm Thap Rua (siehe Bild unten) und lauschten frühstückenderweise der
über Lautsprecher nach draußen übertragenen Messe an der
Sankt-Joseph-Kathedrale. Im ältesten Tempel der Stadt, dem Bach Ma
Tempel, zogen wir uns fast eine Räucherstäbchenvergiftung zu und
staunten darüber, was hier alles auf den Altären der Gottheiten
gestapelt wird: Frische Blumen und Obst, Porzellanfiguren ohne Ende,
und interessanterweise auch Getränkedosen. Die roten Cocacola-Dosen
passen farblich meist hervorragend zur überwiegend roten
Altargestaltung, während grüne Heinekendosen einen hübschen
Kontrast bilden. Welche Gottheit kann da schon widerstehen?
Ebenfalls einen Besuch statteten wir Ho Chi Minh ab, „Onkel Ho“
wie ihn die Vietnamesen nennen. Der arme liegt seit Jahrzehnten in
einem gläsernen Sarg im Mausoleum, obwohl er sich zu Lebzeiten
ausdrücklich eine Feuerbestattung gewünscht hatte. Stattdessen
begafft ihn jetzt die ganze Welt und für zwei Monate im Jahr wird er
nach Russland geschickt, damit sie ihn dort wieder etwas auffrischen.
Noch viel beeindruckender als der blasse Ho Chi Minh in seiner
Glaskiste war aber das ganze Drumherum: Ein kolossaler Bau, Soldaten
in weißen Uniformen, für die es die größte Ehre ist, den ganzen
Tag strammstehenderweise auf ihren Landesvater aufpassen zu dürfen,
die brav in Zweierreihen am Sarg entlangprozessierende
Menschenschlange. Man darf im Mausoleum keine Taschen mitnehmen,
keine Tops oder kurzen Hosen tragen, nicht stehen bleiben, nicht
reden, nicht fotografieren, nicht die Hände in die Hosentaschen
stecken, nicht überholen, nicht trödeln und auch nicht die Hände
hinterm Rücken verschränken (dann gibt es von den Herren in weiß
einen Klaps auf den Unterarm). Man darf also eigentlich kaum etwas
außer im richtigen Tempo gehen und gucken, aber dafür ist man ja
auch hier.
Von Hanoi aus unternahmen wir einen dreitägigen Ausflug in die
Halong Bay – etwas, was anscheinend zu jedem Vietnamtrip
dazugehört, wenn man die schiere Menge der Touristen dort
betrachtet. Ein Reisebus nach dem nächsten spuckt mehr und mehr
Touristen aus, die im Hafen auf viele ziemlich identisch aussehende
und leicht angeranzte Dschunken klettern, für die sie erstaunlich
unterschiedliche Preise gezahlt haben. Aber egal wie sehr einen das
touristische Tohuwabohu nervt – sobald das Boot ablegt und man über
blaues Wasser zwischen den steil aufragenden Bergkuppen durchgleitet,
die wie tausend Zuckerhüte aus dem Meer aufragen, ist alles
vergessen. Dieser Ort ist ganz zu Recht Unesco Weltnaturerbe. Zur
Tour gehörte auch die Besichtigung einer riesigen und sehr
eindruckvollen Höhle, die noch relativ naturbelassen und geschickt
hinterleuchtet war, sowie Kayak fahren in der Bucht, schwimmen vom
Schiff aus und Übernachtung und Essen (mit ziemlich viel Fisch und
Meeresfrüchten!) an Bord. Da die meisten nur ein oder zwei Tage
bleiben, konnten wir am zweiten Tag in etwas untouristischere Gefilde
der Halong Bucht vordringen, was das ganze noch schöner machte. Eine
nette Reisetruppe tat ihr übriges und da einen die Vietnamesen
ständig gleich verheiraten wollen, durften wir die zweite Nacht in
der reichlich schicken Honeymoon-Suite verbringen.
Und um das Kontrastprogramm zu vervollständigen ging es heute per
Nachtzug in die Berge, in die Tonkinesischen Alpen zu einem Ort
namens Sapa inmitten lauter Reisterrassen – auch ziemlich
touristisch, aber hej, in Indonesien waren wir so ab vom Schuss, dass
wir hier mal ein bisschen mainstream sein dürfen...
Mittwoch, 8. August 2012
Einmal gen Westen und zurück
Montag, 6.8.2012
Viel ist passiert in den letzten Tagen. Soviel, dass ich vor lauter
Ereignissen das Blogschreiben völlig vergessen habe – ich werd
versuchen, euch fix und nicht allzu auschweifend auf den neusten
Stand der Dinge zu bringen.
Letzter Stand war: Banjarbaru, Ende der Feldarbeit für Nico in
SE-Kalimantan, Packen und Verschicken der Gesteinsproben, während
ich in den vorübergehenden Genuss kam, Bett und Fernsehen zu
genießen. Was ich mir trotzdem nicht entgehen lassen konnte, war ein
Besuch des „Floating Market“ in Banjarmasin, auf den ich mich
schon gefreut habe seit Nico mir das erste Mal von Indonesien erzählt
hat. Im Morgengrauen fuhren wir mit Joko und Gimin nach Banjarmasin,
das aufgrund seiner vielen Kanäle auch als das „Venedig Asiens“
bezeichnet wird. Nach einigen Verhandlungen fand sich schnell ein
Mensch mit Boot, der sich bereit erklärte uns gegen Geld zum
schwimmenden Markt zu kutschieren, während die Sonne mit
Hochgeschwindigkeit über den Horizont krabbelte. Hunderte Frauen
trieben in kleinen Kanus auf dem Fluss, ein jedes beladen mit
frischem Obst und Gemüse: Orangen, Bananen, Ananas, Melonen,
riesigem gurkenartigen Gemüse und Kräuter und dazwischen diversem,
von dem ich nicht annähernd sagen könnte, um was es sich handelte.
Bei einigem war selbst Joko mit seinem Latein bzw. Englisch am Ende.
Überwiegend handeln die Frauen hier untereinander und so fanden
viele Tauschgeschäfte statt. Bananen gegen Fisch, Gemüse gegen ein
frisch geschlachtetes Hühnchen. Viele der Frauen trugen bunte
Kopftücher und riesige geflochtene Hüte, die gleichzeitig Sonnen-
und Regenschutz waren. Ein wahrer Augenschmaus, das bunte Treiben im
Sonnenaufgang!
Von Banjarbaru ging es schließlich per Flieger weiter nach Pontianak
in Westkalimantan. Wegen der schlechten Straßen würde man per Bus
oder Auto mehrere Tage brauchen, daher legten wir die Strecke per
Flieger zurück – mit einem Zwischenstopp in Jakarta, weil alle
Orte gut an die Hauptstadt angebunden, aber schlecht untereinander
erreichbar sind. Von Pontianak waren Nico und ich gleichermaßen
überrascht: Wir hatten erwartet, dass es hier eher noch
hinterwäldlerischer zugeht als im ziemlich dicht besiedelten
Banjarbaru, aber Pustekuchen! Riesige Prachtbauten säumten die
Straße vom Flughafen in die Stadt, das Haus des lokalen
Regierungschefs, diverse Sitze von Explorationsfirmen. Der Rest der
Stadt war ziemlich zubetoniert und strahlte den Charme einer
Asphaltwüste aus. Viele zugezogene Chinesen wohnen hier und so ist
die Stadt etwas weniger streng muslimisch – aber immer noch streng
genug, dass man als Frau besser nicht nur mit Bikini im Hotelpool
badet. Stattdessen darf man hier, was zuhause streng verboten ist und
von jedem Bademeister sofort geahndet wird, nämlich mit Klamotten in
den Pool hüpfen. Das macht bloß leider nur halb soviel Spaß, wenn
man keine Wahl hat!
Das ist die Sache mit der Religion. Indonesien ist das nach
Einwohnerzahl größte muslimische Land der Erde und Religion wird
hier ziemlich ernst genommen, auch wenn die überwältigende Mehrheit
der Indonesier eine sehr strenge Auslegung des Korans nach arabischer
Art vehement ablehnt. Das wirkt sich äußerst positiv auf die Rolle
der Frauen aus, die den Männern durchaus gleichgestellt sind und
frei entscheiden, ob sie ihre Haare mit einem Kopftuch verdecken
möchten. An jeder Ecke und in jedem Dorf gibt es eine Moschee und
häufig wird auf den umliegenden Straßen einer Moschee Geld für
Erneuerungs- oder Erweiterungsarbeiten gesammelt. Seit ca. 2 Wochen
ist hier Ramadan, also Fastenmonat. Gegessen werden darf erst nach
einer astronomisch berechneten Zeit (ungefähr zwischen Sonnenunter-
und wieder -aufgang). Das gilt natürlich nicht für uns, dennoch ist
es tagsüber nicht immer so ganz einfach, etwas zu essen aufzutreiben
und wenn man dann doch etwas isst oder trinkt, dann freuen sich die
Menschen hier, wenn man sich für kulinarische Genüsse aus Respekt
für ihre Kultur diskret zurückzieht und es nicht unbedingt direkt
vor ihrer Nase macht. Ähnlich ist es mit dem Anziehen, es wird
positiv aufgenommen, wenn man sich als Frau schulterbedeckende
Oberteile ohne großen Ausschnitt anzieht, auch wenn man sich bei
32°C nach dem hellen Top und den Shorts sehnt!
Fünfmal täglich wird gen Mekka gebetet, angekündigt und begleitet
durch den Ruf des Muezzin von den Moscheen. Da das Geld knapp ist,
rufen hier nur Tonbandaufnahmen, was je nach Lautsprecherqualität
durchaus strapaziös für die Ohren sein kann. Zu Ramadan wird nachts
um 4 das Vor-Sonnenaufgang-Frühstück eingenommen, zu dem alle
aufstehen und auch die Lautsprecher wieder ordentlich Rambazamba
machen. Das ist latent unpraktisch, wenn man lieber ungestört
schlafen würde.
Zwei Tage verbrachten wir in der Nähe des Sungai Landak, wo Nico
seine letzten Diamanten erstand und wir Gimin sehr vermissten. Der
war nämlich in Banjarbaru geblieben, hier in Westkalimantan wurden
wir von einem Studenten namens Eric herumgefahren, der den Mund nicht
aufbekam und so rabiat aufs Gaspedal trat, dass wir auf der Rückbank
aufpassen mussten, dass wir uns nicht beim temporeichen Durchfahren
eines Schlaglochs an der Autodecke eine Gehirnerschütterung
einfingen. Gott sei Dank erklärte ihm Joko irgendwann, dass es
vielleicht nicht nötig sei mit 80 km/h durch Dörfer zu rasen, wo
Kinder auf der Straße spielen und dass er vielleicht vor
Schlaglöchern vorsichtig abbremsen könnte, weil die Fahrt doch
etwas ungemütlich sei. Sehr diplomatische Übersetzung der Flüche
von der Rückbank!
Ein Highlight auf der Fahrt gab es dennoch: Einen Stop am Äquator!
Pontianak liegt nämlich ziemlich genau auf dem Äquator und so
steuerten wir zielstrebig das Äquatordenkmal an – nur um
festzustellen, dass es gar nicht genau auf dem Äquator liegt! Huch?!
Den Äquator zeigten Nicos und Jokos GPS-Geräte erst 100 m weiter
südlich an, irgendwo an einem unspektakulären Straßenrand. Direkt
gegenüber gab es ein klitzekleines Straßenrestaurant, das wir
zielstrebig ansteuerten – wann hat man sonst schonmal das Vergnügen
auf dem Äquator zu Abend zu essen?
Borneo ist mit Sumatra einer der letzten Rückzugsorte, wo es noch
Orang-utans in freier Wildbahn gibt, zumindest in einigen wenigen
Nationalparks. Einen von ihnen, den Nationalpark Gunung Palung,
wollten Nico und ich besuchen und unseren rothaarigen Vorfahren einen
Besuch abstatten. Das Vorhaben gestaltete sich organisatorisch dann
allerdings etwas komplizierter als die bloße Idee vermuten ließ.
Von Pontianak mussten wir per Taxi eine Stunde zum Hafen Rasau Jaya
fahren, von dort das richtige Speedboat ergattern, das uns in vier
Stunden über ein Wirrwarr von Flussarmen mit Mangroven und eine
offene Meeresbucht zum Ort Melanau brachte.
Von dort ging es per
Motorradtaxi (man setzt sich einfach bei einem Einheimischen hinten
mit aufs Motorrad) nach einer halbstündigen Fahrt nach Sukadana,
erst zum Büro des Nationalparks und dann zum einzigen
Ökotourismusbüro, das eine Lizenz für Touren durch den Park hatte.
Nach viel hin und her verbrachten wir dann wie erhofft 3 Tage im
Urwald am Berg Lubuk Baji in einer rustikalen Holzhütte auf Stelzen
und wanderten tagsüber mit zwei Tourguides durch die Gegend. Leider
chillten sämtliche anderen Lebewesen anscheinend gerade in einer
ganz anderen Ecke des Waldes, so dass wir gerade mal einen einzigen
Affen (und keinen Orang-utan) erspähen konnten. Der hatte nichts
besseres zu tun als von seinem Baum zu pinkeln, bevor er in der
nächsten Baumkrone verschwand, was wir zu Recht als schlechtes Omen
werteten. Es waren wunderbar entspannte Tage im Wald, ganz „back to
the roots“ ohne fließend Wasser, mit Waschen im nahen Bach,
Plumpsklo und Einschlafen zum Dschungelkonzert von exotisch singenden
Vögeln und Zikaden, die jeden Zahnarztbohrer vor Neid hätten
erblassen lassen. Ein leicht fader Nachgeschmack blieb dennoch:
Während der Feldarbeit hatten wir fast mehr Tiere gesehen als hier
im Nationalpark, unsere Guides sprachen leider gar kein Englisch, so
dass wir wenig neues über Flora und Fauna erfuhren und die
Erkenntnis war ernüchternd, dass auch in dieser Ecke Borneos vom
Urwald wenig übriggeblieben ist. Überall werden Felder angelegt und
dazu der Wald abgebrannt, Palmölplantagen sprießen aus dem Boden.
Wo genug Geld in der Luft liegt, werden sämtliche Beschränkungen
zum Schutz der Wälder nur allzu bereit verworfen. Man kann es der
hiesigen Bevölkerung nicht einmal verübeln, dass auch sie ihren
Anteil an der weltweiten Entwicklung haben wollen, dass sie fließend
Wasser, Strom, Fernsehen, Internet, Auto und all die weiteren Vorzüge
der Zivilisation genießen möchten, was nur möglich ist, wenn man
finanzielle Überschüsse erwirtschaftet und nicht mehr nur vom
Gemüsebeet in den Mund lebt. Dennoch ist es traurig, dass dies
anscheinend nur auf Kosten der Natur möglich ist und der Bevölkerung
das Konzept von Umweltschutz völlig unverständlich ist. Man zündet
seinen zusammengekehrten Müll samt Plastikflaschen im Vorgarten an,
wäscht im Fluss mit Waschmittel die Wäsche und mit Spüli das
Geschirr, holzt die Bäume ab und brennt Gestrüpp und Stümpfe
nieder. Es ist noch ein langer Weg für Indonesien!
Was dagegen alles wettmacht, ist die Freundlichkeit und Herzlichkeit,
die einem hier überall begegnet. In den Dörfern und kleinen Städten
wird man bestaunt wie ein Popstar, vor allem von den Kindern. In
Sudakana unternahmen wir eine kleine Wanderung zum nächsten Strand
und wurden auf dem Weg von ein paar Teenies der hiesigen Dorfjugend
abgefangen, die uns mit viel Begeisterung und sehr gebrochenem
Englisch ausquetschten, was wir zum Henker denn hier machten. Statt
einem romantischen Strandbesuch zu zweit hatten wir dann also einen
sehr fröhlichen und kicher-lastigen Strandabend zu fünft. Ähnliches
passierte, als wir auf dem Rückweg vom Nationalpark nach Pontianak
auf das Speedboat warteten. Im Schatten eines Kornspeichers hatten
wir uns zum Lesen hingesetzt, als uns eine ganze Schulklasse
entdeckte, die uns fortan nicht mehr aus den Augen ließ. Einige
mutige Schüler trauten sich zu uns um sich mit uns fotografieren zu
lassen. Schließlich holte wohl irgendjemand aus lauter Begeisterung
über den exotischen Besuch die Lehrerin dazu, die uns zu sich ins
Haus zu Kaffee und Obst einlud. Mit unseren paar Brocken Indonesisch
und ihren paar Brocken Englisch gelang tatsächlich so etwas wie eine
Unterhaltung und die Kids waren total begeistert, als Nico ihnen
beibrachte auf Deutsch bis 10 zu zählen.
Die letzten zwei Tage unseres Indonesien-Aufenthalts verbrachten wir
in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens auf der Insel Java. Das erste
Mal seit langer Zeit sahen wir wieder weiße Touristen, die im
untouristischen Kalimantan sehr sehr rar gesäht waren. Abends
erkundeten wir das Backpackerviertel um die Straße Jalan Jaksa und
aßen das letzte Mal an einem Straßenstand. Unsere aufgeschnappten
Indonesisch-Kenntnisse wurden von den Einheimischen begeistert
aufgenommen, die sowas von weißen Touris gar nicht gewohnt sind. Wir
bestaunten das Nationaldenkmal am Platz der Freiheit und das
„historische“ Viertel Kota, das leider so gar nicht wegen
schnieker Kolonialbauten hervorstach, sondern viel eher, weil es
furchtbar stank und in Dreckbergen versank. Jakarta ist definitiv
nicht meine Lieblingsstadt!
Nun sind wir sehr gespannt wie es in Vietnam weitergeht und was uns
dort erwartet. Ob wir ohne Vietnamesischkenntnisse wohl ähnlich
aufgeschmissen sein werden, wie man es in Indonesien komplett ohne
Indonesisch wäre? Ob sich Vietnam wohl mit ähnlichen
Umweltproblemen herumschlägt wie Borneo? Ob die Vietnamesen wohl
genauso fröhlich und freundlich sind wie die Indonesier? Wir werden
sehen – und ich werde es natürlich berichten!
Dienstag, 31. Juli 2012
Dorfgeschichten oder fliegendes Campieren
Samstag, 28.7.2012
Um an der reinen Autofahrzeit zu sparen und mehr Zeit zum Arbeiten zu
haben, beschloss Nico, dass wir für einige Tage etwas tiefer ins
Land fahren und in irgendwelchen Dörfern übernachten würden, wir
also für zwei Nächte ein wie Joko es nennt „Flying Camp“ haben
würden. Ohja, da hatte ich mich schon die ganze Zeit draufgefreut!
Bisher waren solche Vorhaben erschwert worden, weil Nico lange auf
eine Genehmigung warten musste, die sich der zuständige Mensch gut
bezahlen ließ. Wie schafft man es eigentlich, Bestechungsgelder in
solchen Ländern als erwartbare Ausgaben zu deklarieren um bei
solchen Forschungssachen eine Chance auf Rückfinanzierung zu haben?
Die Natur von Schwarzgeld verbietet ja bekanntlich die Ausstellung
von Quittungen...
Mit sämtlichen Siebensachen gut verpackt im Kofferraum des
Fourwheeldrives ging es also für Nico, Joko, Gimin und mich los in
die Richtung des Flusses Sungai Mahi. Wiesen wurden immer seltener, die
Straßen immer enger und löchriger, unasphaltiert waren sie sowieso,
die Brücken immer abenteuerlicher – bis die erste Brücke nur noch
motorradtauglich war. Das hinderte viele Mopedfahrer nicht daran, mit
ihren mit dem Gewicht eines Kleinwagens beladenen Motorrollern und
-rädern über die Brücke zu sauen, sie war bloß schlichtweg zu
schmal für den Jeep. Gimin, todesmutig und verwegen grinsend wie
immer, steuerte das locker über 20 Jahre alte Gefährt mit Schwung
ins Bachbett um später über einen kleinen Weg auf der anderen Seite
wieder hinauszufahren. Aber zuerst Sand waschen! Beäugt von den
Bewohnern des nächsten Dorfs, an deren Waschstelle wir anscheinend
saßen, drehten und kreiselten wir die Waschpfannen was das Zeug
hält. Dann ging es weiter.
- hätte es zumindest sollen. Die nassen Räder des Jeeps
verwandelten den im trockenen Zustand halbwegs griffigen Lehmboden in
schlüpfrig glitschigen Schlamm. Gimin, völlig ungläubig, dass
trotz Allrad die vorderen beiden Räder immer wieder durchdrehten,
versuchte aber- und abermals den gleichen Weg hochzukommen - ohne
Erfolg. Zunehmend erzürnt ließ er sie minutenlang durchdrehen, bis
das gesamte Flussbett in dichten Auspuffqualm gehüllt war und Nico
und ich langsam Panik schoben, dass das gesamte Auto gleich in
Flammen aufgehen könnte. Keine Chance auf ein Herauskommen aus dem
Fluss, anscheinend war der Allradantrieb kaputt, denn während die
vorderen Räder durchdrehten, bewegten sich die hinteren keinen
Millimeter. Auch den Weg, den es hinuntergekommen war, kam das arme
Autolein nicht wieder hoch! Was tun? Hier war niemand, der uns hätte
herausziehen können.Sollte die Karre als Metallschrott etwa hier
verrotten und wir unser Gepäck zu Fuß zurück nach Banjarbaru
tragen?
Es siegte Gimins gesunder Autoverstand: rückwärts, heißt die
Zauberformel! Mit viel Anlauf, nochmehr fahrerischem Geschick, einem
großen Sturkopf und blindem Vertrauen quälte Gimin den Jeep
rückwärts den Weg hinauf, den wir eine halbe Stunde vorher so
unbedarft hinuntergecruist waren. Eine anschließende Inspektion
ergab, dass die Kraftübertragungseinheit des Allradantriebs lose
unterm Auto hing und wir also die ganze Zeit ohne Allrad mit diesem
dieselfressenden Spritschlucker unterwegs gewesen waren.
„Da bezahlt man horrende Summen für eine Schrottkarre, die älter
ist als ich und dann funktioniert nicht mal der Allradantrieb und wir
kommen nicht dahin, wo wir hinwollen! Was hätte man sparen können,
wenn man das Geld in ein funktionierendes, weniger
Spritmonster-artiges Auto gesteckt hätte!“, rechnete Nico
haareraufend vor, während Gimin das lose Ding kurzerhand unterm Auto
liegend ausbaute und Joko mit seiner Handykamera um uns herumsprang,
völlig begeistert über das Motiv, wie wir beide Gimin beim
Schrauben zugucken.
So schlimm war die kleine Panne dann doch nicht. Es waren genug
diamantführende Flüsse übrig, in denen wir fleißig weiter Sand
wuschen unter den Augen zahlloser völlig begeisterter Kinder, die
sich stundenlang darüber freuen konnten wie weiß wir waren und was
wir für komische Sachen machten. Diverse Male mussten wir uns mit
Leuten fotografieren lassen, bis wir uns fast vorkamen wie ein Affe
im Zoo und frotzelten, dass wir vielleicht Geld verlangen sollten.
Wahrscheeinlich war es das Highlight des ganzen Monats für das Dorf,
dass sich zwei Weiße hierher verirren. Nico erhandelte einen
weiteren Diamanten von einer zahnlosen Dame, während wir anderen und
das halbe Dorf im Schneidersitz drumherum saßen und wild hin und her
diskutiert und erzählt wurde. Eine einfache Frage von Nico, seitens
Joko brav übersetzt, mündete häufig in einem Gesprächsschwall,
der erst 10 Minuten später mit einer zur Frage völlig unpassenden
Antwort endete.
Anschließend fragte sich Joko quer durch das halbe Dorf, bis sich
jemand erbarmte und uns sein Wohnzimmer zum Übernachten anbot. Eine
ziemlich urige Holzhütte, leicht erhöht auf Stelzen, wie es auf
Kalimantan typisch ist. Prachtstück des Wohnzimmers war ein
Fernseher und zwei kleine schäbige Sofas, ansonsten sind die
Dorfhäuser meist ziemlich leer, weil sich viel auf dem Fußboden
abspielt. Dort wird geschlafen, gebetet, gegessen, zusammen gesessen,
herumgelegen, getrunken, geklönt und ziemlich viel Fernsehen
geguckt. Während es bei uns höflich ist, den Fernseher
ausgeschaltet zu lassen, wenn man Besuch bekommt, ist es hier höflich
ihn einzuschalten, um den Gast an dieser Errungenschaft der Technik
teilhaben zu lassen und Gesprächspausen gut überbrücken zu können.
Die recht luftigen Holzhütten haben natürlich keine Klimaanlage und
häufig auch kein fließend Wasser. Ersteres übernimmt der Luftzug,
der durch die Ritzen zwischen den Brettern zieht und für angenehme
Kühlung sorgt, für zweites gibt es eine Waschecke, in der man sich
mit Wasser aus Regentonnen waschen kann und ein Loch im Boden als
Toilette, das im Unterschied zu französischen Hockklos natürlich
nicht an ein Abwassersystem angeschlossen ist.
Auch die nächste Nacht verbrachten wir auf Isomatten, diesmal in
einem Dorf namens Kalehaan im Haus des Bürgermeisters. Deutlicher
Unterschied zur letzten Behausung! Die Arbeitsecke schmückt ein PC,
das Haus ist gemauert, das Bad gefliest und die Wände gestrichen.
Durch den fehlenden Luftzug ist es allerdings gleich gefühlte 20°C
wärmer! Das Bad ist ein typisch indonesisches Schöpfbad wie wir es
auch in unserer Pension in Banjarbaru im Bad hatten: Eine Ecke des
Badezimmers besteht aus einem gemauerten, meist hüfthohen Basin, das
randvoll mit Wasser gefüllt ist. Mit einer Schöpfkelle kann man
dann nach Lust und Laune Wasser aus dem Basin über sich schöpfen,
das über einen Abfluss im Boden abgeleitet wird. Sehr erfrischend!
Nachdem Nico seine letzten Proben am Berg Gunung Bukitbesar in einem
Bachbett gesammelt hatte und genug Schwerminerale aus den Flusssanden
gewaschen hatte, machten wir uns wieder auf die lange holprige
Rückfahrt nach Banjarbaru, wo ich mich für die nächsten Tage erst
einmal im Bett verkroch. Keine Sorge, keine Malaria – von der
behaupten die Einheimischen hier, dass sie hier gar nicht auftritt.
Außerdem lacht sich jeder, der aus Karlshof kommt oder mal in Prerow
war, kringelig über die drei Mücken, die hier herumfliegen! Es war
wohl vielmehr der Arbeits- und Reisemarathon, der seine Spuren
hinterließ, die sich aber mit viel Ruhe und einer ausgiebigen
Erkundung des englischsprachigen asiatischen Fernsehprogramms schnell
kurieren ließen. Inzwischen bin ich wieder topfit und bereit für
neue Schandtaten, die da heißen: Westkalimantan. Auf geht’s zum
Äquator!
PS: Nachtrag zum letzten Post: Wie ich hinterher erfuhr, hat der Ketchup nicht etwa seinen Siegeszug aus der Welt in Richtung Indonesien vollzogen, sondern genau anders herum! Ketchup ist höchstwahrscheinlich indonesischen Ursprungs und bezeichnet "Soße", da die Westler den Sojaketchup nicht mochten, wurde er mit Tomaten erweitert!
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