Dienstag, 6. August 2013

Schwarzer Strand und übers Meer

Da war ich nun also, auf der anderen Seite des Vulkans, und eine seltsame Lethargie überfiel mich. Die Beine waren müde, der Kopf auch, soviele neue Eindrücke. Noch ziemlich genau 24 Stunden, dann würde ich mich zurück auf den Weg nach Reykjavik machen müssen. 24 Stunden, 1 Tag, noch das ganze Land vor sich und die Qual der Wahl. Was mache ich mit dieser Zeit? Versuche ich noch möglichst weit nach Osten zu reisen, bis hin zum Skaftafell Nationalpark womöglich, zum Svartifoss und den wunderschönen Säulenbasalten? Oder ist das Quatsch, weil ich die ganze Strecke eh wieder zurückfahren muss? Also lieber in der Gegend bleiben? Aber bei diesem Nebel? Was tun? Und überhaupt?
Ein Kampf zwischen dem Bedürfnis sich bei diesem Nebel einzumummeln und gar nichts zu tun und der Gewissheit, dass das die Traurigkeit nur verstärken würde, schon wieder loszumüssen, nicht weiterzufahren an der Südküste, mehr zu entdecken.

Manchmal hilft das Schicksal. Das Glück. Oder vielmehr das mangelnde Glück. Denn diesmal ließ mich der Zauberdaumen fast im Stich.
Frierend stand ich an der Ringstraße und ein ums andere Auto sauste entweder vorbei oder bog ab zum Skogarfoss, von dem ich nun gerade wegwollte. Ich versuchte es mit Lächeln und freundlichem Gesicht. Die Leute winkten und fuhren weiter. Ich guckte möglichst verzweifelt und frierend, kein Problem zu dem Zeitpunkt, und hielt meinen Daumen extra hoch in die Luft. Die Leute fuhren mit hochgereckten Daumen an mir vorbei. Ich guckte neutral und die Leute zeigten keine Regung, während sie an mir vorbeibrausten. Eine halbe Stunde später hatte immer noch kein Auto angehalten und ich fragte mich, was zur Hölle hier denn los ist. Strategisch günstiger Ort an gut befahrener Straße. Autos schnell, aber nicht zu schnell. Platz zum Anhalten. Nur eine Person als Anhalter, gut sichtbar aufgestellt. Kurz bevor ich ernstlich darüber nachdenken konnte, ob es helfen würde auf die Knie zu fallen und die Hände bittend gen Himmel zu recken, hielt dann doch endlich ein Auto an und ein italienisches Pärchen nahm mich ein Stückchen mit. Es folgte binnen gewohnt kürzester Zeit ein tschechisches Pärchen und schon war ich in Vik. Mein Vertrauen in den Zauberdaumen war wiederhergestellt.

Viel werde ich gefragt, warum ich das tue, als Frau, allein und überhaupt. Weil es eine gute Sache ist, sage ich dann und meine es auch. Ohne Hitchhiking wäre alleine reisen zwischendurch ziemlich öde. Es ist ein bisschen wie Couchsurfen mit Auto statt Couch. Wie Kaffeetrinken mit wildfremden Leuten, wie Reisegeschichten austauschen zwischen Tür und Angel. Manchmal hat man sich viel zu erzählen, manchmal nicht, beides ist okay. Seien wir ehrlich, wir verbringen den größten Teil unseres Alltags mit Leuten, mit denen wir ziemlich viel gemeinsam haben: Wir machen die gleichen Sachen, kennen die gleichen Leute, arbeiten dasselbe, hören ähnliche Musik und machen den gleichen Sport. Das ist nett. Und es ist bequem. Ist es interessant? Eigentlich nicht. Per Anhalter reisen ist das Gegenteil. Es ist nicht immer bequem. Aber es ist immer interessant, weil man sich - wenn auch nur kurz - mit Leuten beschäftigt, mit denen man sonst vielleicht nie etwas zu tun haben würde.
Ein weiterer Grund? Ich möchte gerne in einer Welt leben, wo man sich ohne Sorge an den Straßenrand stellen kann und sich von jemandem mitnehmen lassen kann, der in die gleiche Richtung fährt. Je kleiner die Anzahl der Leute, die per Anhalter reisen, desto größer der Prozentteil der Leute, die irgendwie schräg sind - und desto größer der Prozentteil der Merkwürdigen unter denen, die einen mitnehmen. Wenn mehr normale Leute hitchhiken, dann nehmen einen vielleicht auch mehr normale Leute mit und niemand müsste sich mehr Sorgen machen. Es ist wie mit dem Fahrradfahren: In Ländern, wo alle per Rad unterwegs sind, ist Radfahren sicherer als dort, wo für Radler kein Platz auf Straßen ist. Deshalb: Fahrt Rad, reist per Anhalter, nehmt Anhalter mit, damit es irgendwann das normalste der Welt ist.

In Vik war es inzwischen Abend und das Problem der Weiterreise oder nicht-Weiterreise hatte sich erledigt. Stattdessen schlenderte ich etwas durch den Ort, beziehungsweise die drei Straßen aus denen der Ort besteht und setzte mich an den Strand, um von dort eine Gruppe Papageientaucher zu beobachten, für die die Gegend so bekannt ist. Munter tauchten sie im flachen Wasser umher auf der Suche nach Nahrung und völlig unvorhersehbar tauchten sie erst Minuten später an ganz anderer Stelle wieder auf, nur um sofort wieder zu verschwinden. Das einzige, was man von ihnen sieht, ist das schwarze Federkleid mit der weißen Brust und manchmal blitzt ein roter Schnabel in der Abendsonne, während die Wellen stetig an den schwarzen Strand rollen. Warum schwarzer Strand? Weil nur dunkler Basalt in der Gegend vorkommt und aus zerkleinertem dunklen Gestein kein weißer Sand werden kann.


Am Morgen werde ich von Vogelgeschrei und dem dumpfen Geräusch von Welle auf Strand geweckt - und davon, dass erstmals seit ich in Island bin, die Sonne so stark auf das Zelt brutzelt, dass es fast ein bisschen zu warm darin wird. Zum Abkühlen laufe ich zum Strand und stecke einen Zeh ins Wasser - das ist ausreichend, um schlagartig wach zu werden und abzukühlen, denn das Meer ist lausig kalt. Danach machte ich mich an die Organisation eines Kindheitstraumes, nachdem ich endlich mein Telefon überreden konnte auch isländische Festnetznummern anzuwählen.


Zwei Stunden später saß ich quietschvergnügt auf Vænting, einer sehr gehfreudigen Grauschimmelstute, und ritt zusammen mit Cecilie am Strand entland. Cecilie, Dänin und frischgebackene Abiturientin mit wenig Plan, was sie nun machen will, macht in Island so ungefähr das, was ich in Neuseeland auf der Farm gemacht habe, nämlich Hofarbeit und Ausritte leiten. Im Tölt geht es den menschenleeren Strand entlang, an dessen Ende die Papageientaucher auf einigen Felsen brüten und aufgeregt durch den Himmel flattern. Tölt, die berühmte vierte Gangart der Islandpferde, ist ungefähr so schnell wie Trab, aber um Längen gemütlicher. So gleiten wir über den schwarzen Sand und ich habe das Gefühl, dass ich für immer so weiter reiten könnte.



Glücklich, beseelt und völlig sonnenverbrannt setzt mich Cecilie zwei Stunden später wieder an der Ringstraße ab. Diesmal übertrifft sich der Daumen selbst, schon das erste Auto hält an und nimmt mich fast die ganze Strecke nach Reykjavik mit, während ich mit meinem Riesenrucksack auf dem Schoß eingeklemmt zwischen lauter Koffern auf der Rückbank hocke. Ja, bequem ist hitchiken wahrhaftig nicht immer. Die zwei netten Berliner im zweiten Auto fahren mich sogar bis zum Campingplatz, als Revanche dafür, dass jemand das bei ihrer Ankunft in Island auch mit ihnen gemacht hatte. Eine kurze Nacht später sitze ich im Bus zum Flughafen. Noch kurz Island von oben sehen, dann geht es weiter, ein neues Land, ein neues Ziel, ein neuer Kontinent, eine neue Etappe auf meinem langen Weg gen Westen. Aber keine Sorge, Island, ich komme wieder...


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