Samstag, 28.7.2012
Um an der reinen Autofahrzeit zu sparen und mehr Zeit zum Arbeiten zu
haben, beschloss Nico, dass wir für einige Tage etwas tiefer ins
Land fahren und in irgendwelchen Dörfern übernachten würden, wir
also für zwei Nächte ein wie Joko es nennt „Flying Camp“ haben
würden. Ohja, da hatte ich mich schon die ganze Zeit draufgefreut!
Bisher waren solche Vorhaben erschwert worden, weil Nico lange auf
eine Genehmigung warten musste, die sich der zuständige Mensch gut
bezahlen ließ. Wie schafft man es eigentlich, Bestechungsgelder in
solchen Ländern als erwartbare Ausgaben zu deklarieren um bei
solchen Forschungssachen eine Chance auf Rückfinanzierung zu haben?
Die Natur von Schwarzgeld verbietet ja bekanntlich die Ausstellung
von Quittungen...
Mit sämtlichen Siebensachen gut verpackt im Kofferraum des
Fourwheeldrives ging es also für Nico, Joko, Gimin und mich los in
die Richtung des Flusses Sungai Mahi. Wiesen wurden immer seltener, die
Straßen immer enger und löchriger, unasphaltiert waren sie sowieso,
die Brücken immer abenteuerlicher – bis die erste Brücke nur noch
motorradtauglich war. Das hinderte viele Mopedfahrer nicht daran, mit
ihren mit dem Gewicht eines Kleinwagens beladenen Motorrollern und
-rädern über die Brücke zu sauen, sie war bloß schlichtweg zu
schmal für den Jeep. Gimin, todesmutig und verwegen grinsend wie
immer, steuerte das locker über 20 Jahre alte Gefährt mit Schwung
ins Bachbett um später über einen kleinen Weg auf der anderen Seite
wieder hinauszufahren. Aber zuerst Sand waschen! Beäugt von den
Bewohnern des nächsten Dorfs, an deren Waschstelle wir anscheinend
saßen, drehten und kreiselten wir die Waschpfannen was das Zeug
hält. Dann ging es weiter.
- hätte es zumindest sollen. Die nassen Räder des Jeeps
verwandelten den im trockenen Zustand halbwegs griffigen Lehmboden in
schlüpfrig glitschigen Schlamm. Gimin, völlig ungläubig, dass
trotz Allrad die vorderen beiden Räder immer wieder durchdrehten,
versuchte aber- und abermals den gleichen Weg hochzukommen - ohne
Erfolg. Zunehmend erzürnt ließ er sie minutenlang durchdrehen, bis
das gesamte Flussbett in dichten Auspuffqualm gehüllt war und Nico
und ich langsam Panik schoben, dass das gesamte Auto gleich in
Flammen aufgehen könnte. Keine Chance auf ein Herauskommen aus dem
Fluss, anscheinend war der Allradantrieb kaputt, denn während die
vorderen Räder durchdrehten, bewegten sich die hinteren keinen
Millimeter. Auch den Weg, den es hinuntergekommen war, kam das arme
Autolein nicht wieder hoch! Was tun? Hier war niemand, der uns hätte
herausziehen können.Sollte die Karre als Metallschrott etwa hier
verrotten und wir unser Gepäck zu Fuß zurück nach Banjarbaru
tragen?
Es siegte Gimins gesunder Autoverstand: rückwärts, heißt die
Zauberformel! Mit viel Anlauf, nochmehr fahrerischem Geschick, einem
großen Sturkopf und blindem Vertrauen quälte Gimin den Jeep
rückwärts den Weg hinauf, den wir eine halbe Stunde vorher so
unbedarft hinuntergecruist waren. Eine anschließende Inspektion
ergab, dass die Kraftübertragungseinheit des Allradantriebs lose
unterm Auto hing und wir also die ganze Zeit ohne Allrad mit diesem
dieselfressenden Spritschlucker unterwegs gewesen waren.
„Da bezahlt man horrende Summen für eine Schrottkarre, die älter
ist als ich und dann funktioniert nicht mal der Allradantrieb und wir
kommen nicht dahin, wo wir hinwollen! Was hätte man sparen können,
wenn man das Geld in ein funktionierendes, weniger
Spritmonster-artiges Auto gesteckt hätte!“, rechnete Nico
haareraufend vor, während Gimin das lose Ding kurzerhand unterm Auto
liegend ausbaute und Joko mit seiner Handykamera um uns herumsprang,
völlig begeistert über das Motiv, wie wir beide Gimin beim
Schrauben zugucken.
So schlimm war die kleine Panne dann doch nicht. Es waren genug
diamantführende Flüsse übrig, in denen wir fleißig weiter Sand
wuschen unter den Augen zahlloser völlig begeisterter Kinder, die
sich stundenlang darüber freuen konnten wie weiß wir waren und was
wir für komische Sachen machten. Diverse Male mussten wir uns mit
Leuten fotografieren lassen, bis wir uns fast vorkamen wie ein Affe
im Zoo und frotzelten, dass wir vielleicht Geld verlangen sollten.
Wahrscheeinlich war es das Highlight des ganzen Monats für das Dorf,
dass sich zwei Weiße hierher verirren. Nico erhandelte einen
weiteren Diamanten von einer zahnlosen Dame, während wir anderen und
das halbe Dorf im Schneidersitz drumherum saßen und wild hin und her
diskutiert und erzählt wurde. Eine einfache Frage von Nico, seitens
Joko brav übersetzt, mündete häufig in einem Gesprächsschwall,
der erst 10 Minuten später mit einer zur Frage völlig unpassenden
Antwort endete.
Anschließend fragte sich Joko quer durch das halbe Dorf, bis sich
jemand erbarmte und uns sein Wohnzimmer zum Übernachten anbot. Eine
ziemlich urige Holzhütte, leicht erhöht auf Stelzen, wie es auf
Kalimantan typisch ist. Prachtstück des Wohnzimmers war ein
Fernseher und zwei kleine schäbige Sofas, ansonsten sind die
Dorfhäuser meist ziemlich leer, weil sich viel auf dem Fußboden
abspielt. Dort wird geschlafen, gebetet, gegessen, zusammen gesessen,
herumgelegen, getrunken, geklönt und ziemlich viel Fernsehen
geguckt. Während es bei uns höflich ist, den Fernseher
ausgeschaltet zu lassen, wenn man Besuch bekommt, ist es hier höflich
ihn einzuschalten, um den Gast an dieser Errungenschaft der Technik
teilhaben zu lassen und Gesprächspausen gut überbrücken zu können.
Die recht luftigen Holzhütten haben natürlich keine Klimaanlage und
häufig auch kein fließend Wasser. Ersteres übernimmt der Luftzug,
der durch die Ritzen zwischen den Brettern zieht und für angenehme
Kühlung sorgt, für zweites gibt es eine Waschecke, in der man sich
mit Wasser aus Regentonnen waschen kann und ein Loch im Boden als
Toilette, das im Unterschied zu französischen Hockklos natürlich
nicht an ein Abwassersystem angeschlossen ist.
Auch die nächste Nacht verbrachten wir auf Isomatten, diesmal in
einem Dorf namens Kalehaan im Haus des Bürgermeisters. Deutlicher
Unterschied zur letzten Behausung! Die Arbeitsecke schmückt ein PC,
das Haus ist gemauert, das Bad gefliest und die Wände gestrichen.
Durch den fehlenden Luftzug ist es allerdings gleich gefühlte 20°C
wärmer! Das Bad ist ein typisch indonesisches Schöpfbad wie wir es
auch in unserer Pension in Banjarbaru im Bad hatten: Eine Ecke des
Badezimmers besteht aus einem gemauerten, meist hüfthohen Basin, das
randvoll mit Wasser gefüllt ist. Mit einer Schöpfkelle kann man
dann nach Lust und Laune Wasser aus dem Basin über sich schöpfen,
das über einen Abfluss im Boden abgeleitet wird. Sehr erfrischend!
Nachdem Nico seine letzten Proben am Berg Gunung Bukitbesar in einem
Bachbett gesammelt hatte und genug Schwerminerale aus den Flusssanden
gewaschen hatte, machten wir uns wieder auf die lange holprige
Rückfahrt nach Banjarbaru, wo ich mich für die nächsten Tage erst
einmal im Bett verkroch. Keine Sorge, keine Malaria – von der
behaupten die Einheimischen hier, dass sie hier gar nicht auftritt.
Außerdem lacht sich jeder, der aus Karlshof kommt oder mal in Prerow
war, kringelig über die drei Mücken, die hier herumfliegen! Es war
wohl vielmehr der Arbeits- und Reisemarathon, der seine Spuren
hinterließ, die sich aber mit viel Ruhe und einer ausgiebigen
Erkundung des englischsprachigen asiatischen Fernsehprogramms schnell
kurieren ließen. Inzwischen bin ich wieder topfit und bereit für
neue Schandtaten, die da heißen: Westkalimantan. Auf geht’s zum
Äquator!
PS: Nachtrag zum letzten Post: Wie ich hinterher erfuhr, hat der Ketchup nicht etwa seinen Siegeszug aus der Welt in Richtung Indonesien vollzogen, sondern genau anders herum! Ketchup ist höchstwahrscheinlich indonesischen Ursprungs und bezeichnet "Soße", da die Westler den Sojaketchup nicht mochten, wurde er mit Tomaten erweitert!