Montag, 27. August 2012

Hue, Hoi An und das Paradies

Mit dem ersten Zug des Tages machten wir uns auf den Weg nach Hue, einer Stadt, die als das intellektuelle Herz Vietnams bezeichnet wird. Fasziniert stellte ich beim Blick aus dem Fenster fest, dass Vietnam von hier aus gen Süden deutlich trockener wird. Gar nicht mehr soviele Wasserpfützen, kaum noch Felder, die an Seen erinnern und wow – ist das etwa ein Fleck mit Sand? Reinem weißen Sand? Tatsache, nicht zu fassen. Statt Wasserspinat wachsen hier auch mal Kautschukbäume, statt Reis auch mal Maniok, statt Seerosen auch mal bunte Blumen auf dem Trockenen. Auf weiten, fast steppenartig anmutenden Wiesen sieht man mal immer wieder runde und ovale Löcher – Bombenkrater, herrührend von den Millionen Tonnen Munition, die auf vietnamesischem Boden landete und alles in Schutt und Asche legte, in einer Masse, die alles übertrifft, was im zweiten Weltkrieg in ganz Europa abgeworfen wurde.

Hue war heiß. Sehr heiß. 37°C wurde gemunkelt, bei altbekannten Luftfeuchtigkeitswerten. So heiß, dass man nur von Schatten zu Schatten huscht und sofort einen Fächer von einem der Fächerverkäufer kaufen würde, wenn sie denn mal da wären, wenn man sie braucht und nicht immer nur dann, wenn es gerade ganz gut auszuhalten ist. Nachdem unser ehrgeiziges Unterfangen an neues Bargeld zu kommen ein glückliches Ende gefunden hatte, ließen wir Hue erstmal Hue sein und chillten bei der coolen Klimaanlage in unserem Zimmer ein bisschen ab. Erst als die größte Hitze vorbei war, wagten wir uns wieder hinaus und konnten Hues berühmte Zitadelle aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur von außen anschauen. Die liegt versteckt hinter bombastischen Stadtmauern und ihr innerster Teil heißt „Die verbotene Purpurstadt“. Was sich hinter diesem märchenhaften Namen verbirgt, bleibt also weiterhin erstmal unserer Fantasie überlassen.


In der Abenddämmerung fanden wir einen idyllischen Platz direkt am Parfümfluss, der sich durch Hue schlängelt und genossen bei einem frischen Saft die Aussicht auf den breiten Fluss, die brummende Stadt und zwei Brücken, über die sich eine nie enden wollende Karawane von Motorrädern wälzte. Das war solange idyllisch bis – WUMMTA, UTZ, UTZ – an einem der umliegenden Straßenstände das Bedürfnis nach Disco sehr groß wurde. Auf vietnamesisch natürlich. Wie alle Asiaten (zumindest gefühlt), lieben die Vietnamesen schnulzigen und peppig-elektronischen Pop und auch Sachen wie Modern Talking stehen hoch im Kurs.



Die Zeit rennt und rennt und rennt uns davon. Ständig muss man Sachen von seinem Reiseplan streichen und aussortieren und hat immer noch zu wenig und will doch auch nicht hetzen und trotzdem etwas sehen. Die Kaisergräber in Hue mussten dran glauben, denn am nächsten Tag ging es bereits weiter nach Hoi An. Und nein, weil die Zeit so knapp ist, lässt sich Nico keinen Anzug schneidern und ich mir kein Kleid. Auch wenn das hier eigentlich alle machen und Hoi An das Zentrum aller Schneider und aller Kleider und aller Seide ist.

Hoi An ist klein und bunt und vor allem alt – wie durch ein Wunder ist es quasi die einzige vietnamesische Stadt, die während des Vietnamkriegs nicht völlig ausgebombt wurde. Ein paar wenige Straßen bilden das Stadtzentrum, sehr idyllisch an einem Fluss gelegenen und überquellend mit Klamottenläden, Souvenirgeschäften, Restaurants und kleinen Cafés. Nachdem Nico seine über alles geliebten Flipflops in Indonesien verloren hatte, kam er hier in den Genuss von maßgeschneidertem Ersatz – dafür reichte die Zeit dann doch. Auch ich war ein, zwei, fix doch im Besitz zweier Sommerkleider, wenn auch von der Stange. Endlich fand sich auch ein Fächermensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort und so zog ich fortan fröhlich fächernd durch die Stadt. Abends saßen wir bei Bier und leckerem vietnamesischen Essen am Fluss und beobachteten die schwimmenden Teelichter, die von Touristen gekauft und ausgesetzt den Fluss hinuntertrieben. Von Hoi An sind es nur wenige Kilometer zu Strand und Meer, was wir am nächsten Tag mit geliehenen Fahrrädern ausnutzten. Ein herrlicher Sandstrand erwartete uns, erstaunlich ruhig für einen Stadtstrand, mit dem einzigen Nachteil, dass man aufgrund des Windes ziemlich gesandstrahlt wurde. Das dem Peeling folgende Salzbad in unglaublich warmem Wasser machte die Kosmetiksession komplett, abgerundet wurde das ganze durch einen ersten Hauch Ganzkörperbräune – es war schließlich unser erster Besuch am Strand!

Nha Trang war unser nächster Halt oder vielmehr der nächste Halt unseres Zugs. Uns hielt hier nichts, denn Nha Trang hat den Ruf des vietnamesischen Ballermanns und darauf hatten wir, oh Wunder, eher wenig Lust. Wenn man die Wahl hat zwischen Nha Trang und dem Paradies, mal ehrlich, wer nimmt dann mit schlechter Musik, billigem Fusel und grölenden Menschen vorlieb?

Das Paradies? Ja, wir haben das Paradies gefunden. Das Paradies liegt 60 km nördlich von Nha Trang an einem kilometerlangen weißen Sandstrand, dessen eines Ende in einem kleinen Örtchen endet, das andere an ein paar Felsen, die sich gut zum Schnorcheln eignen. Das Meer ist türkisblau und glasklar und kleine Wellen schwappen in regelmäßigen Abständen an den Strand. Zwischen lauter Palmen stehen kleine Bambushütten mit etwas löchrigen Dächern, unser Bett steht gar nur notdürftig mit einer Plane überdacht unter freiem Himmel. Aber weil es bis zur Abreise nicht regnet, macht das nichts. Im Paradies ist das Wetter nämlich meistens gut. Sonnig und warm. Sehr sonnig und warm. Fast schon zu sonnig und warm. Der Strandsand ist so heiß, dass man nur in Flipflops drüberlaufen kann und selbst das wird ziemlich mollig von unten. In die Sonne legen tut man sich lieber nicht (außer ein paar verrückten Engländern), stattdessen sucht man sich ein schattiges Plätzchen unter einem Bambusschattenspender. Im Paradies gammelt man den ganzen Tag am Strand rum und wenn man nicht herumgammelt, dann liest man mal ein Buch. Oder legt sich in die Hängematte. Oder vielleicht lieber doch an den Strand. Eine Runde baden. Weiterlesen. Oh, Buch schon durch, naja, ab ans nächste. Schnorcheln. Hängematte.
Wenn man nachts im Paradies badet, dann leuchtet und glitzert es um dich herum, weil Millionen kleine bioluminiszierende Algen dir Gesellschaft leisten.


Das Paradies hieß "Jungle Beach" und war eine Mischung aus Ferienlager, Hippie-Kommune und Ressort. Das heißt, dass einem für erwähnte rustikale Unterkunft verhältnismäßig viel Geld aus der Tasche gezogen wird und trotzdem alle glücklich sind. Das Paradies ist nämlich ganz und gar konkurrenzlos. Dreimal täglich gibt es Essen und dann sitzen alle 25 Paradiesbewohner zusammen und lachen und klönen und erzählen Reisegeschichten oder schweigen auch einfach mal nur und irgendwann bemerkt jemand, dass das Essen etwas besser und reichlicher sein könnte und alle nicken zustimmend und dann wird die nächste Reisegeschichte ausgepackt. Überlandbusse, Nepalpläne, Reiserouten. Zug versus Bus. Ob Sapa und Halong zu touristisch sind. Kambodscha und Laos. Brennende Regenwälder auf Borneo. Abends sitzen wir am Strand und schlürfen Bier, genießen die Kühle und beobachten die Fischerboote, die mit hellen Lampen versuchen Tintenfische anzulocken. Der Mond ist hell und das Wasser so klar, dass man bauchtief im Wasser stehend noch seine Füße sehen kann.

Das Paradies hat nur einen einzigen Nachteil: Nach drei Tagen muss man weiter. Schnüff. Seufz. Sachen packen. Auf geht’s.

Mittwoch, 22. August 2012

Dschungel und Höhlen

Ein allerletztes Mal. Ein allerallerletztes Mal wollten wir versuchen mithilfe des organisierten Touristensystems etwas abseits des organisierten Touristensystems zu reisen. Eine letzte Chance, sonst – so hatten wir geschworen – würden wir hier nie wieder eine Tour buchen. So entschlossen, hockten wir im frühmorgendlichen Halbdunkel vor dem Büro einer Agentur in Hanoi, frisch eingetrudelt mit dem Nachtzug aus Sapa, der uns um halb 5 Uhr am Bahnhof abgesetzt hatte. Um uns herum erwachte langsam die Stadt. Die Vietnamesen sind wahre Frühaufsteher und morgens sprießen an allen Straßenecken und -enden plötzlich kleine Straßencafés aus dem Boden, aufgebaut aus ein paar klitzekleinen Plastikstühlen und -tischchen. Es duftete nach Phó, der typischen Nudelsuppe, die gern zum Frühstück verspeist wird, und nach Kaffee. Frauen trugen riesige geschulterte Körbe mit Obst und Gemüse die Straßen entlang und es wurde fleißig gehandelt und getratscht und diskutiert und über uralte Handwaagen abgewogen und erneut diskutiert. Manchmal setzte man sich einfach mit unterschiedlichen Waren zusammen und vergrößerte so sein Angebot: Die Frau mit den frisch gerupften Hühnchen hockte neben der Frau mit zwei riesigen Körben Gemüse und die Frau mit den befruchteten Enteneiern (hier eine Delikatesse!) verhalf der Nudelsuppe des angrenzenden Straßencafés zur Perfektion. Die Zeitungsfrau hockte sich dazu und schlürfte einen Kaffee und teilte erst weiter Zeitungen aus, nachdem sie sie samt und sonders selber gelesen hatte. Zwei Männer von der Müllabfuhr schoben einen großen Müllcontainer und sammelten die Müllhäufchen ein, die die Anwohner vorher penibel auf ihren Bürgersteigen zusammengefegt hatten. Auch unser Frühstück stammte von einem Straßenstand: Leckere kleine Baguettes, wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit, gefüllt mit Omelette, Zwiebel, Minze und ein bisschen Fleisch.

Als die Sonne längst aufgegangen war, trafen wir unsere restliche Reisgruppe: Ein Ehepaar aus Stuttgart mit ihrer 15-jährigen Tochter Carla, und zusammen ging es zum Cuc Phuong National Park über viele staubige Straßen mit vielen verrückten Busfahrern. Um den Primaten- und Affenmangel aus Indonesien auszugleichen, besuchten wir zuerst ein Primatenzentrum, in dem aus Gefangenschaft und Wilderei befreite Primaten wieder aufgepäppelt und weitergezüchtet werden, um sie eines Tages wieder in die freie Wildbahn zu entlassen. 


Nachmittags wanderten wir durch den dichten Dschungel des Parks und entdeckten allerhand an Krabbeltieren: Ein kunterbunter Hundertfüßler, Spinnen, so groß wie ein Handteller mit langen Beinen (das freute besonders Carla mit ihrer Spinnenphobie!) und Schmetterlinge mit der gefühlten Spannbreite eines Unterarms. Nachdem Carla sichergestellt hatte, dass keine einzige Spinne mehr in ihrem Zimmer war, saßen wir abends Karten spielend und Bierchen schlürfend auf der Terrasse unserer direkt im Nationalpark gelegenen Herberge und lauschten den Dschungelgeräuschen – dank Stromausfall bei Kerzenschein, was das ganze besonders gemütlich machte.

Am nächsten Tag bekamen wir Verstärkung von zwei Spaniern und machten gemeinsam eine Fahrradtour mit den am fürchterlichst eingestellten Fahrrädern der Welt (Ich vermiss mein Fahrrad!!). Über viele Sandwege und durch kleine Dörfer ging es bis zu einem Berg, dessen Gipfel eine kleine Pagode schmückte. 500 Stufen führten hinauf, in Stufenhöhen, die latent eher für 3m-Menschen gemacht waren – wieso bauten die kleinen Vietnamesen bloß so hohe Stufen?? Bei 34°C und 96% Luftfeuchtigkeit (später dann auch 100%) war die Krabbelei zur Spitze ein anstrengendes Unterfangen, bei dem man ungefähr genauso nass hinterher war, als hätte man gerade gebadet (nur weniger frisch). Besonders schön ist es, wenn das Salz auf der Haut zu kleinen krümeligen Kristallen anwächst, die dank der Schicht aus Sonnencreme richtig schön an der Haut kleben...


Später ließen wir uns per Ruderboot durch die Grotten von Trang An paddeln, ein Gewirr von unter Wasser stehenden langgestreckten Höhlen, die mehrere kleine Seen und Flüsschen verbinden. Auch der nächste Tag wartete mit mehreren Bootstouren auf, unter anderem zu den sogenannten „floating Villages“, Dorfgemeinschaften, die früher mehr oder weniger ausschließlich aus bewohnten Bootskolonien bestanden. Inzwischen wohnen die meisten in festen Häusern an Land, aber da drumherum alles unter Wasser steht, findet das meiste Leben auf dem Wasser statt (inklusive Fernsehgucken, siehe Foto unten). Der durch das Dorf fließende Fluss ist gleichzeitig Bürgersteig, Straße, Marktplatz, Waschanlage und Hafen, was sehr faszinierend anzusehen ist. 



Überhaupt Wasser! Manchmal scheint es mir, dass ganz Vietnam nur aus Wasser besteht! Überall wo es seichte Wasserflächen gibt, wird Reis angebaut und durch die Reisfelder ziehen sich lange Lehmdämme über die man trockenen Fußes marschieren kann. An etwas tieferen Stellen wird Wasserspinat geerntet und Seerosen, die als Viehfutter zu Bündeln zusammengeschnürt werden. Überall angeln und fischen die Menschen oder sammeln Wasserschnecken vom Untergrund. Sogar die Rinder liegen hier im Wasser: Für Wasserbüffel gibt es nichts schöneres als sich in halbtiefen Pfützen zu suhlen.


Nach Ende unserer sehr gelungenen Tour (die letzte Chance hat sich gelohnt!) ließen wir uns in Ninh Binh (gesprochen Ning Bing) absetzen, einer industriell geprägten Provinzstadt, die für Einheimische deutlich interessanter ist als für Touristen. Wir schlenderten über einen riesigen Markt, wo einfach alles verkauft wurde: Gemüse, Obst, alles erdenkliche an Kräutern und Gewürzen in flachen runden Körben von enormem Durchmesser und eine große Auswahl an Fleisch, Fisch und anderem Meeresgetier, sowie Schnecken und Muscheln. Da sich bei den hohen Temperaturen und den eingeschränkten Kühlmöglichkeiten nichts besonders lange hält, wird alles lebendige möglichst lange am Leben gelassen und so schwammen die Fische dicht an dicht in riesigen Wannen, die Krebse krabbelten durch ihre Schüssel und stapelten sich übereinander bis sie fast den Schüsselrand erreichten und die Enten waren der makaberen Situation ausgesetzt, dass sie mit zusammengebundenen Füßen auf dem Boden sitzend auf ihren kopflosen gerupften Artgenossen guckten, der auf einem Tablett präsentiert wurde.

Von Ninh Binh reisten wir mit dem Zug bis nach Dong Hoi, wo wir von einem Jeep eingesammelt und zu unserer nächsten Unterkunft gebracht wurden: Phong Nha Farmstay, ein kleines Guesthouse mitten im Nirgendwo mit vielen Backpackern und ganz weit weg vom Trubel. Ganz in der Nähe befand sich der Phong Nha Ke-Ba Nationalpark mit der größten Höhle der Welt. Da diese leider noch nicht begehbar ist (sie wurde erst 2009 entdeckt), mussten wir mit der kleineren Phong Nha Höhle vorlieb nehmen, die aber ebenfalls beeindruckend schön war. Riesige Stalagtiten hingen wie riesige Zähne von der Decke und waren namensgebend für die Höhle, deren Namen übersetzt „Drachenhöhle“ heißt. Stalagmiten reckten sich ihnen entgegen und das von der Decke tropfende Gemisch aus Kalk und Sand formte riesige Gebilde, von denen manche an Tropfsandburgen am Strand erinnerten, während andere eher nach Korallenriffen und schwarzen Rauchern aus der Tiefsee aussahen. Während des amerikanischen Kriegs versteckten die Vietnamesen eine schwimmende Brücke tagsüber in der Höhle und holten sie nachts hervor, um den Warentransport über den Fluss zu ermöglichen. Den Amerikanern war lange nicht klar, wie zur Hölle durch dieses unwegsame Karstgebiet immer noch Nachschub gelingen konnte bis sie auf die Idee kamen mit Raketen das ganze Tal zu erhellen und Fotos zu schießen. Dabei entdeckten sie die Höhle mit der Brücke und sandten prompt ein paar Raketen gen Höhlenmündung, bei denen ein paar Drachenzähne dran glauben mussten. Nicht alle trafen die Höhlenöffnung und so kann man heute noch viele Einschlagskrater im umliegenden Gestein sehen.


Viel zu schnell war die Zeit in diesem abgelegenen Teil Vietnams vorbei, wo man als Weißer noch winkend und mit „Hello“-Rufen im Dorf von den Kindern empfangen wird. Während unserer Radtour zur Höhle trafen wir auf eine Horde Kinder, die gerade Schulschluss hatten und nun nach Hause radelten. Während einige sich kurzerhand anhaltermäßig bei Nico auf den Gepäckträger setzten und ein Stück mitfuhren, waren anderen ganz erpicht darauf, uns in einem Wettrennen abzuhängen. Viel Gelächter, Gewinke, Gekreisch und noch mehr „hello“ und ein paar mal „where you from?“, altbekannt aber ohne angebotenen Trödelkrimskrams, den niemand braucht. Das Leben ist schön, Vietnam erst recht.


Samstag, 18. August 2012

Where you from?

Where you from? Where you from? Buy from me!“, schallte es aus 25 Mündern und 25 Paar Hände voller geknüpfter Freundschaftsbändchen, billiger Blechohrringe und Armreifen, bunten Haarbändern und bestickten Taschen reckten sich uns entgegen. Die vier spanischen Frauen, die zu unserer Wandertruppe gehörten, zeigten etwas ratlos auf ihre Arme, an denen jeweils schon vier Bändchen und ein Armreif baumelte – aber diese Ausrede zog nicht. Wer sich zu vier Freundschaftsbändchen hat gequatschen lassen, der kauft bestimmt noch ein fünftes und so erschallte der Chor von neuem: „Buy from me, buy from me!“

So hatten wir uns das eigentlich nicht vorgestellt. Wer nach Sapa kommt, der macht in 90% aller Fälle eine Tour mit, die durch die Dörfer der örtlichen Minderheiten führt, z.B. die der H'mong und der Roten Dzao und einen „Homestay“ beinhaltet, also die Übernachtung bei einer einheimischen Familie. Weil das interessant klang und soviele begeisterte Menschen ja nicht irren können, machten wir also das gleiche und wurden morgens von einer fröhlichen Gruppe Mädels in schwarzen Trachten eingesammelt, die allesamt halb so groß waren wie ich. Aufgrund latent bruchstückhafter Englischkenntnisse auf der einen und fehlender Vietnamesisch- und H'mongkenntnisse auf der anderen Seite verlief der Kontakt zu unserer Reiseführergruppe meist nach dem immergleichen Schema:
Where you from?“ (Where you from scheint in Sapa eine ähnliche Begrüßungsformel zu sein wie How are you in den USA.)
I'm from Germany!“
Ooooh... what you name?“
I'm Julie and this is Nico. And what's yours?“
#*#*#* (unaussprechliches Geräusch)
Irritierte Pause unsererseits. Dann: „Mmh, that is very complicated.“ (Wort eh schon wieder vergessen.)
How old you?“
Ich: „I'm 23.“
Nico: „I'm 26.“
Beide: „And you?“
(Setze beliebige Zahl zwischen 11 und 56 ein)


Von Sapa führte die Tour bergab, aus dem malerisch am Berghang gelegenen Städtchen mit dem Charme eines Bergkurorts heraus und entlang einer geteerten Straße an Marmorfelsen vorbei. Irgendwann führt der Weg dann Gott sei Dank nicht mehr an der Hauptstraße entlang, sondern entlang von lehmigen Pfaden und Wegen, die sich durch die Reisterrassen schlängeln. Während im Rest des Landes überwiegend zweimal im Jahr Reis geerntet werden kann und im fruchtbaren Süden sogar eine dreifache Ernte möglich ist, gibt die bergige Region und das angenehm kühle Klima hier in der nördlichen Bergregion nur eine einzige Reisernte her und die Felder standen noch in voller Frucht. Je nach Reissorte erschien das Meer von Reishalmen von oben gesehen eher gelbgrünlich oder leuchtend satt grün und rund um uns herum gluckste das Wasser, das von den Bergbächen abgezweigt und mit kleinen Lehmwällen über die Felder geleitet wird. 




In regelmäßigen Abständen standen am Weg Stände mit Erfrischungsgetränken, Snacks und Souvenirs und wo immer die Wandergruppe zum Lunchen hingeführt wurde, wurde sie sofort von einer Horde Trachtenmädchen empfangen, die die immer gleichen Sachen verkaufen wollten und von denen die Hälfte eher die Schulbank drücken sollte als Touristen Sachen anzudrehen, die sie eh nicht haben wollten. Am Nachmittag erreichten wir unseren Homestay – da die Anzahl der Dorffamilien allerdings gering ist im Vergleich zur anströmenden Tourimenge, wurde kurzerhand ein zusätzliches Haus gebaut, das jede Menge dünner Matratzen und Toilette und Dusche mit warmem und kaltem Wasser beherbergte und auch sonst nichts an westlichem Komfort missen ließ. Außerordentlich typisch und echt also. Nach einem herrlich erfrischendem Bad im Sonnenschein diskutierten Nico und ich bei einem Bierchen, warum uns das Reisen in Vietnam trotz aller Landesschönheit bisher noch nicht so vom Hocker gerissen hat.

Vietnam ist unglaublich touristisch und die Massen an Touristen verteilen sich leider nicht, sondern werden in immer gleichen Bahnen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit gelotst. Drumherum ist ein ausgefeiltes System an Reiseagenturen und -büros installiert, die einen mehr die anderen weniger dubios, die diese Lotserei übernehmen. Auf eigene Faust ist es schwierig von dieser Massenwanderung wegzukommen, einerseits weil man Highlights wie die Halong-Bucht natürlich auch gern sehen möchte, andererseits weil die einheimischen Strukturen abseits der Touriwege schwierig zu benutzen sind. Natürlich gibt es normale Busse, diese fahren aber zu Zeiten, die man von nicht-englischsprachigen Menschen erfragen muss, genauso wie ihre Routen, die sich gerne ändern. Hinweisschilder und Richtungsweiser sind ähnlich rar wie angeschnallte Autofahrer. Es gibt Autos, aber Nicht-Vietnamesen dürfen hier nicht Auto fahren und Taxifahrer versuchen gerne, einen über den Tisch zu ziehen. Man kann Motorräder mieten, muss aber höllisch auf den Verkehr aufpassen, denn Verkehrsregeln gibt es hier schlichtweg nicht. Es hat einfach derjenige Vorfahrt, der am lautesten hupt und am wenigsten so aussieht, als würde er noch anhalten können. Im Vergleich zu Indonesien fahren die Menschen hier seltsam langsam, oft nur 50 km/h auf breiten und gut ausgebauten Straßen, überholen aber wie die Bekloppten und hupen, statt sich umzusehen. In Indonesien war die Hupe zwar auch primär ein Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen, aber kein Ersatz fürs Gucken und so kommt es uns so vor, als ob es hier deutlich häufiger Beinah-Unfälle gibt.

Vielleicht, vielleicht haben wir auch einfach noch keine weniger touristischen Gefilde erreicht und es wird alles noch viel angenehmer. Was ja auch gar nicht heißen soll, dass das Reisen hier unangenehm ist. Es ist bloß so anders als das, was wir erwartet hatten, und auch so unterschiedlich vom komplett untouristischen Borneotrip. Ein Kulturschock kann einen anscheinend auch umhauen, wenn er plötzlich seine Richtung ändert!

Montag, 13. August 2012

So long, Halong!

… and thanks for all the fish! Aber zuerst einmal: VIETNAM! Ein kommunistisches Land voller geschäftstüchtiger Kapitalisten. Ein Land, in dem man für Geld haben kann, was man will, aber in dem man nicht auf Facebook oder seinen eigenen Blog zugreifen kann, dank Zensur. Ein Land, das weiter nördlich liegt und in dem es trotzdem wärmer ist. Ein Land, in dem der Verkehr gesitteter, aber trotzdem gefährlicher ist als in Indonesien, weil die Vietnamesen zu sturköpfig zum Ausweichen sind. Ein Land, in dem es – falls das überhaupt möglich ist – NOCH mehr Mopeds und Motorräder auf den Straßen gibt. Ein Land mit einer so abgedrehten Sprache, dass man nie weiß, ob die Menschen einen gerade beschimpfen oder was nettes sagen; dass sie weniger lachen macht es auch nicht einfacher.


Vietnam haute uns erstmal ziemlich aus den Socken, weil es so anders war als erwartet. Ich hätte beispielsweise geschätzt, dass es sich in etwa auf dem gleichen Entwicklungslevel wie Indonesien befindet, aber da lag ich komplett daneben. Dank des ausgeprägten Tourismus hat der Atem der großen weiten Welt hier längst Fuß gefasst, in Hanoi wimmelt es vor kleinen Restaurants, Boutiquen und Souvenirläden. Über allem hängt der Geruch aus einem Mischmasch aus Mopedabgasen, Essensgerüchen und Kaffeeduft – hier gibt es eine richtige Cafészene und man kann aus einer Vielzahl von Kaffeesorten auswählen, welche man in der nächsten Tasse verkosten möchte. Langsam verkosten, wohlgemerkt, denn der Kaffee ist so stark, dass man sonst Gefahr läuft seine Geschmacks- und Koffeinnerven zu überreizen.


Die Vietnamesen sind ein äußerst geschäftstüchtiges Völkchen und haben es sehr schnell heraus, dass weiße Touristen schon allein aufgrund von Verständigungsproblemen mehr oder eher weniger freiwillig bereit sind, den doppelten Preis zu zahlen. In den Straßen ist es manchmal schwierig sich in Ruhe irgendetwas anzugucken, weil man sofort von Straßenhändlern abgepasst wird. Nein, ich möchte keinen hölzernen Fächer kaufen, danke ich habe noch eine Flasche Wasser im Rucksack, nein ich möchte wirklich keine Bananen, nein, auch die Orangen nicht, nein, gar kein Obst, wirklich nicht. Ich möchte kein Plastikarmband, nein, auch keinen Regenschirm, auch kein pappiges Zuckergebäck zu unverschämten Preisen, nein danke, der Reishut ist sehr schön, aber ich möchte ihn nicht kaufen, NEIN! Schräg wurde es, als eine Dame mit Reishut und mit zwei an einer Tragestange befestigten Körben ihre Utensilien spontan über Nico hängen wollte – wahrscheinlich um für das hoffentlich folgende Foto Geld fordern zu können. Völlig überrumpelt entzog sich Nico in einer geduckten Fluchtbewegung und war fortan sehr vorsichtig in der Nähe von behüteten und mit Körben beladenen Frauen. Aus einem uns bisher noch unbekannten Grund gibt es auch immer wieder Leute, die unbedingt Nicos Sandalen kleben wollen und sich auf seine Füße stürzen. Das resultiert auf Nicos Seite meist in einem erschreckten Sprung seitwärts und der leicht fassunglosen Frage: „Was haben die bloß immer mit meinen Schuhen, die sehen doch noch gut aus und sind gar nicht kaputt?“

Drei Tage verbrachten wir in Hanoi, der quirligen Großstadt mit engen Gassen, Straßenrestaurants, Häusern im romantisch-französischen Stil über mehrere Etagen und mit Bäumen gesäumten Straßen. Wir promenierten um den See Hoan Kiem und besichtigten den Ngoc Son Tempel und die Ein-Stelzen-Pagode, winkten dem in der Mitte des Sees thronenden Wahrzeichen Hanois zu, dem Schildkrötenturm Thap Rua (siehe Bild unten) und lauschten frühstückenderweise der über Lautsprecher nach draußen übertragenen Messe an der Sankt-Joseph-Kathedrale. Im ältesten Tempel der Stadt, dem Bach Ma Tempel, zogen wir uns fast eine Räucherstäbchenvergiftung zu und staunten darüber, was hier alles auf den Altären der Gottheiten gestapelt wird: Frische Blumen und Obst, Porzellanfiguren ohne Ende, und interessanterweise auch Getränkedosen. Die roten Cocacola-Dosen passen farblich meist hervorragend zur überwiegend roten Altargestaltung, während grüne Heinekendosen einen hübschen Kontrast bilden. Welche Gottheit kann da schon widerstehen?


Ebenfalls einen Besuch statteten wir Ho Chi Minh ab, „Onkel Ho“ wie ihn die Vietnamesen nennen. Der arme liegt seit Jahrzehnten in einem gläsernen Sarg im Mausoleum, obwohl er sich zu Lebzeiten ausdrücklich eine Feuerbestattung gewünscht hatte. Stattdessen begafft ihn jetzt die ganze Welt und für zwei Monate im Jahr wird er nach Russland geschickt, damit sie ihn dort wieder etwas auffrischen. Noch viel beeindruckender als der blasse Ho Chi Minh in seiner Glaskiste war aber das ganze Drumherum: Ein kolossaler Bau, Soldaten in weißen Uniformen, für die es die größte Ehre ist, den ganzen Tag strammstehenderweise auf ihren Landesvater aufpassen zu dürfen, die brav in Zweierreihen am Sarg entlangprozessierende Menschenschlange. Man darf im Mausoleum keine Taschen mitnehmen, keine Tops oder kurzen Hosen tragen, nicht stehen bleiben, nicht reden, nicht fotografieren, nicht die Hände in die Hosentaschen stecken, nicht überholen, nicht trödeln und auch nicht die Hände hinterm Rücken verschränken (dann gibt es von den Herren in weiß einen Klaps auf den Unterarm). Man darf also eigentlich kaum etwas außer im richtigen Tempo gehen und gucken, aber dafür ist man ja auch hier.

Von Hanoi aus unternahmen wir einen dreitägigen Ausflug in die Halong Bay – etwas, was anscheinend zu jedem Vietnamtrip dazugehört, wenn man die schiere Menge der Touristen dort betrachtet. Ein Reisebus nach dem nächsten spuckt mehr und mehr Touristen aus, die im Hafen auf viele ziemlich identisch aussehende und leicht angeranzte Dschunken klettern, für die sie erstaunlich unterschiedliche Preise gezahlt haben. Aber egal wie sehr einen das touristische Tohuwabohu nervt – sobald das Boot ablegt und man über blaues Wasser zwischen den steil aufragenden Bergkuppen durchgleitet, die wie tausend Zuckerhüte aus dem Meer aufragen, ist alles vergessen. Dieser Ort ist ganz zu Recht Unesco Weltnaturerbe. Zur Tour gehörte auch die Besichtigung einer riesigen und sehr eindruckvollen Höhle, die noch relativ naturbelassen und geschickt hinterleuchtet war, sowie Kayak fahren in der Bucht, schwimmen vom Schiff aus und Übernachtung und Essen (mit ziemlich viel Fisch und Meeresfrüchten!) an Bord. Da die meisten nur ein oder zwei Tage bleiben, konnten wir am zweiten Tag in etwas untouristischere Gefilde der Halong Bucht vordringen, was das ganze noch schöner machte. Eine nette Reisetruppe tat ihr übriges und da einen die Vietnamesen ständig gleich verheiraten wollen, durften wir die zweite Nacht in der reichlich schicken Honeymoon-Suite verbringen. 



Und um das Kontrastprogramm zu vervollständigen ging es heute per Nachtzug in die Berge, in die Tonkinesischen Alpen zu einem Ort namens Sapa inmitten lauter Reisterrassen – auch ziemlich touristisch, aber hej, in Indonesien waren wir so ab vom Schuss, dass wir hier mal ein bisschen mainstream sein dürfen...

Mittwoch, 8. August 2012

Einmal gen Westen und zurück

Montag, 6.8.2012


Viel ist passiert in den letzten Tagen. Soviel, dass ich vor lauter Ereignissen das Blogschreiben völlig vergessen habe – ich werd versuchen, euch fix und nicht allzu auschweifend auf den neusten Stand der Dinge zu bringen.

Letzter Stand war: Banjarbaru, Ende der Feldarbeit für Nico in SE-Kalimantan, Packen und Verschicken der Gesteinsproben, während ich in den vorübergehenden Genuss kam, Bett und Fernsehen zu genießen. Was ich mir trotzdem nicht entgehen lassen konnte, war ein Besuch des „Floating Market“ in Banjarmasin, auf den ich mich schon gefreut habe seit Nico mir das erste Mal von Indonesien erzählt hat. Im Morgengrauen fuhren wir mit Joko und Gimin nach Banjarmasin, das aufgrund seiner vielen Kanäle auch als das „Venedig Asiens“ bezeichnet wird. Nach einigen Verhandlungen fand sich schnell ein Mensch mit Boot, der sich bereit erklärte uns gegen Geld zum schwimmenden Markt zu kutschieren, während die Sonne mit Hochgeschwindigkeit über den Horizont krabbelte. Hunderte Frauen trieben in kleinen Kanus auf dem Fluss, ein jedes beladen mit frischem Obst und Gemüse: Orangen, Bananen, Ananas, Melonen, riesigem gurkenartigen Gemüse und Kräuter und dazwischen diversem, von dem ich nicht annähernd sagen könnte, um was es sich handelte. Bei einigem war selbst Joko mit seinem Latein bzw. Englisch am Ende. Überwiegend handeln die Frauen hier untereinander und so fanden viele Tauschgeschäfte statt. Bananen gegen Fisch, Gemüse gegen ein frisch geschlachtetes Hühnchen. Viele der Frauen trugen bunte Kopftücher und riesige geflochtene Hüte, die gleichzeitig Sonnen- und Regenschutz waren. Ein wahrer Augenschmaus, das bunte Treiben im Sonnenaufgang!




Von Banjarbaru ging es schließlich per Flieger weiter nach Pontianak in Westkalimantan. Wegen der schlechten Straßen würde man per Bus oder Auto mehrere Tage brauchen, daher legten wir die Strecke per Flieger zurück – mit einem Zwischenstopp in Jakarta, weil alle Orte gut an die Hauptstadt angebunden, aber schlecht untereinander erreichbar sind. Von Pontianak waren Nico und ich gleichermaßen überrascht: Wir hatten erwartet, dass es hier eher noch hinterwäldlerischer zugeht als im ziemlich dicht besiedelten Banjarbaru, aber Pustekuchen! Riesige Prachtbauten säumten die Straße vom Flughafen in die Stadt, das Haus des lokalen Regierungschefs, diverse Sitze von Explorationsfirmen. Der Rest der Stadt war ziemlich zubetoniert und strahlte den Charme einer Asphaltwüste aus. Viele zugezogene Chinesen wohnen hier und so ist die Stadt etwas weniger streng muslimisch – aber immer noch streng genug, dass man als Frau besser nicht nur mit Bikini im Hotelpool badet. Stattdessen darf man hier, was zuhause streng verboten ist und von jedem Bademeister sofort geahndet wird, nämlich mit Klamotten in den Pool hüpfen. Das macht bloß leider nur halb soviel Spaß, wenn man keine Wahl hat!

Das ist die Sache mit der Religion. Indonesien ist das nach Einwohnerzahl größte muslimische Land der Erde und Religion wird hier ziemlich ernst genommen, auch wenn die überwältigende Mehrheit der Indonesier eine sehr strenge Auslegung des Korans nach arabischer Art vehement ablehnt. Das wirkt sich äußerst positiv auf die Rolle der Frauen aus, die den Männern durchaus gleichgestellt sind und frei entscheiden, ob sie ihre Haare mit einem Kopftuch verdecken möchten. An jeder Ecke und in jedem Dorf gibt es eine Moschee und häufig wird auf den umliegenden Straßen einer Moschee Geld für Erneuerungs- oder Erweiterungsarbeiten gesammelt. Seit ca. 2 Wochen ist hier Ramadan, also Fastenmonat. Gegessen werden darf erst nach einer astronomisch berechneten Zeit (ungefähr zwischen Sonnenunter- und wieder -aufgang). Das gilt natürlich nicht für uns, dennoch ist es tagsüber nicht immer so ganz einfach, etwas zu essen aufzutreiben und wenn man dann doch etwas isst oder trinkt, dann freuen sich die Menschen hier, wenn man sich für kulinarische Genüsse aus Respekt für ihre Kultur diskret zurückzieht und es nicht unbedingt direkt vor ihrer Nase macht. Ähnlich ist es mit dem Anziehen, es wird positiv aufgenommen, wenn man sich als Frau schulterbedeckende Oberteile ohne großen Ausschnitt anzieht, auch wenn man sich bei 32°C nach dem hellen Top und den Shorts sehnt!
Fünfmal täglich wird gen Mekka gebetet, angekündigt und begleitet durch den Ruf des Muezzin von den Moscheen. Da das Geld knapp ist, rufen hier nur Tonbandaufnahmen, was je nach Lautsprecherqualität durchaus strapaziös für die Ohren sein kann. Zu Ramadan wird nachts um 4 das Vor-Sonnenaufgang-Frühstück eingenommen, zu dem alle aufstehen und auch die Lautsprecher wieder ordentlich Rambazamba machen. Das ist latent unpraktisch, wenn man lieber ungestört schlafen würde.

Zwei Tage verbrachten wir in der Nähe des Sungai Landak, wo Nico seine letzten Diamanten erstand und wir Gimin sehr vermissten. Der war nämlich in Banjarbaru geblieben, hier in Westkalimantan wurden wir von einem Studenten namens Eric herumgefahren, der den Mund nicht aufbekam und so rabiat aufs Gaspedal trat, dass wir auf der Rückbank aufpassen mussten, dass wir uns nicht beim temporeichen Durchfahren eines Schlaglochs an der Autodecke eine Gehirnerschütterung einfingen. Gott sei Dank erklärte ihm Joko irgendwann, dass es vielleicht nicht nötig sei mit 80 km/h durch Dörfer zu rasen, wo Kinder auf der Straße spielen und dass er vielleicht vor Schlaglöchern vorsichtig abbremsen könnte, weil die Fahrt doch etwas ungemütlich sei. Sehr diplomatische Übersetzung der Flüche von der Rückbank!

Ein Highlight auf der Fahrt gab es dennoch: Einen Stop am Äquator! Pontianak liegt nämlich ziemlich genau auf dem Äquator und so steuerten wir zielstrebig das Äquatordenkmal an – nur um festzustellen, dass es gar nicht genau auf dem Äquator liegt! Huch?! Den Äquator zeigten Nicos und Jokos GPS-Geräte erst 100 m weiter südlich an, irgendwo an einem unspektakulären Straßenrand. Direkt gegenüber gab es ein klitzekleines Straßenrestaurant, das wir zielstrebig ansteuerten – wann hat man sonst schonmal das Vergnügen auf dem Äquator zu Abend zu essen?


Borneo ist mit Sumatra einer der letzten Rückzugsorte, wo es noch Orang-utans in freier Wildbahn gibt, zumindest in einigen wenigen Nationalparks. Einen von ihnen, den Nationalpark Gunung Palung, wollten Nico und ich besuchen und unseren rothaarigen Vorfahren einen Besuch abstatten. Das Vorhaben gestaltete sich organisatorisch dann allerdings etwas komplizierter als die bloße Idee vermuten ließ. Von Pontianak mussten wir per Taxi eine Stunde zum Hafen Rasau Jaya fahren, von dort das richtige Speedboat ergattern, das uns in vier Stunden über ein Wirrwarr von Flussarmen mit Mangroven und eine offene Meeresbucht zum Ort Melanau brachte. 

Von dort ging es per Motorradtaxi (man setzt sich einfach bei einem Einheimischen hinten mit aufs Motorrad) nach einer halbstündigen Fahrt nach Sukadana, erst zum Büro des Nationalparks und dann zum einzigen Ökotourismusbüro, das eine Lizenz für Touren durch den Park hatte. Nach viel hin und her verbrachten wir dann wie erhofft 3 Tage im Urwald am Berg Lubuk Baji in einer rustikalen Holzhütte auf Stelzen und wanderten tagsüber mit zwei Tourguides durch die Gegend. Leider chillten sämtliche anderen Lebewesen anscheinend gerade in einer ganz anderen Ecke des Waldes, so dass wir gerade mal einen einzigen Affen (und keinen Orang-utan) erspähen konnten. Der hatte nichts besseres zu tun als von seinem Baum zu pinkeln, bevor er in der nächsten Baumkrone verschwand, was wir zu Recht als schlechtes Omen werteten. Es waren wunderbar entspannte Tage im Wald, ganz „back to the roots“ ohne fließend Wasser, mit Waschen im nahen Bach, Plumpsklo und Einschlafen zum Dschungelkonzert von exotisch singenden Vögeln und Zikaden, die jeden Zahnarztbohrer vor Neid hätten erblassen lassen. Ein leicht fader Nachgeschmack blieb dennoch: Während der Feldarbeit hatten wir fast mehr Tiere gesehen als hier im Nationalpark, unsere Guides sprachen leider gar kein Englisch, so dass wir wenig neues über Flora und Fauna erfuhren und die Erkenntnis war ernüchternd, dass auch in dieser Ecke Borneos vom Urwald wenig übriggeblieben ist. Überall werden Felder angelegt und dazu der Wald abgebrannt, Palmölplantagen sprießen aus dem Boden. Wo genug Geld in der Luft liegt, werden sämtliche Beschränkungen zum Schutz der Wälder nur allzu bereit verworfen. Man kann es der hiesigen Bevölkerung nicht einmal verübeln, dass auch sie ihren Anteil an der weltweiten Entwicklung haben wollen, dass sie fließend Wasser, Strom, Fernsehen, Internet, Auto und all die weiteren Vorzüge der Zivilisation genießen möchten, was nur möglich ist, wenn man finanzielle Überschüsse erwirtschaftet und nicht mehr nur vom Gemüsebeet in den Mund lebt. Dennoch ist es traurig, dass dies anscheinend nur auf Kosten der Natur möglich ist und der Bevölkerung das Konzept von Umweltschutz völlig unverständlich ist. Man zündet seinen zusammengekehrten Müll samt Plastikflaschen im Vorgarten an, wäscht im Fluss mit Waschmittel die Wäsche und mit Spüli das Geschirr, holzt die Bäume ab und brennt Gestrüpp und Stümpfe nieder. Es ist noch ein langer Weg für Indonesien!

Was dagegen alles wettmacht, ist die Freundlichkeit und Herzlichkeit, die einem hier überall begegnet. In den Dörfern und kleinen Städten wird man bestaunt wie ein Popstar, vor allem von den Kindern. In Sudakana unternahmen wir eine kleine Wanderung zum nächsten Strand und wurden auf dem Weg von ein paar Teenies der hiesigen Dorfjugend abgefangen, die uns mit viel Begeisterung und sehr gebrochenem Englisch ausquetschten, was wir zum Henker denn hier machten. Statt einem romantischen Strandbesuch zu zweit hatten wir dann also einen sehr fröhlichen und kicher-lastigen Strandabend zu fünft. Ähnliches passierte, als wir auf dem Rückweg vom Nationalpark nach Pontianak auf das Speedboat warteten. Im Schatten eines Kornspeichers hatten wir uns zum Lesen hingesetzt, als uns eine ganze Schulklasse entdeckte, die uns fortan nicht mehr aus den Augen ließ. Einige mutige Schüler trauten sich zu uns um sich mit uns fotografieren zu lassen. Schließlich holte wohl irgendjemand aus lauter Begeisterung über den exotischen Besuch die Lehrerin dazu, die uns zu sich ins Haus zu Kaffee und Obst einlud. Mit unseren paar Brocken Indonesisch und ihren paar Brocken Englisch gelang tatsächlich so etwas wie eine Unterhaltung und die Kids waren total begeistert, als Nico ihnen beibrachte auf Deutsch bis 10 zu zählen.

Die letzten zwei Tage unseres Indonesien-Aufenthalts verbrachten wir in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens auf der Insel Java. Das erste Mal seit langer Zeit sahen wir wieder weiße Touristen, die im untouristischen Kalimantan sehr sehr rar gesäht waren. Abends erkundeten wir das Backpackerviertel um die Straße Jalan Jaksa und aßen das letzte Mal an einem Straßenstand. Unsere aufgeschnappten Indonesisch-Kenntnisse wurden von den Einheimischen begeistert aufgenommen, die sowas von weißen Touris gar nicht gewohnt sind. Wir bestaunten das Nationaldenkmal am Platz der Freiheit und das „historische“ Viertel Kota, das leider so gar nicht wegen schnieker Kolonialbauten hervorstach, sondern viel eher, weil es furchtbar stank und in Dreckbergen versank. Jakarta ist definitiv nicht meine Lieblingsstadt!

Nun sind wir sehr gespannt wie es in Vietnam weitergeht und was uns dort erwartet. Ob wir ohne Vietnamesischkenntnisse wohl ähnlich aufgeschmissen sein werden, wie man es in Indonesien komplett ohne Indonesisch wäre? Ob sich Vietnam wohl mit ähnlichen Umweltproblemen herumschlägt wie Borneo? Ob die Vietnamesen wohl genauso fröhlich und freundlich sind wie die Indonesier? Wir werden sehen – und ich werde es natürlich berichten!