Mit dem ersten Zug des Tages machten wir uns auf den Weg nach Hue,
einer Stadt, die als das intellektuelle Herz Vietnams bezeichnet
wird. Fasziniert stellte ich beim Blick aus dem Fenster fest, dass
Vietnam von hier aus gen Süden deutlich trockener wird. Gar nicht
mehr soviele Wasserpfützen, kaum noch Felder, die an Seen erinnern
und wow – ist das etwa ein Fleck mit Sand? Reinem weißen Sand?
Tatsache, nicht zu fassen. Statt Wasserspinat wachsen hier auch mal
Kautschukbäume, statt Reis auch mal Maniok, statt Seerosen auch mal
bunte Blumen auf dem Trockenen. Auf weiten, fast steppenartig
anmutenden Wiesen sieht man mal immer wieder runde und ovale Löcher
– Bombenkrater, herrührend von den Millionen Tonnen Munition, die
auf vietnamesischem Boden landete und alles in Schutt und Asche
legte, in einer Masse, die alles übertrifft, was im zweiten
Weltkrieg in ganz Europa abgeworfen wurde.
Hue war heiß. Sehr heiß. 37°C wurde gemunkelt, bei altbekannten
Luftfeuchtigkeitswerten. So heiß, dass man nur von Schatten zu
Schatten huscht und sofort einen Fächer von einem der
Fächerverkäufer kaufen würde, wenn sie denn mal da wären, wenn
man sie braucht und nicht immer nur dann, wenn es gerade ganz gut
auszuhalten ist. Nachdem unser ehrgeiziges Unterfangen an neues
Bargeld zu kommen ein glückliches Ende gefunden hatte, ließen wir
Hue erstmal Hue sein und chillten bei der coolen Klimaanlage in
unserem Zimmer ein bisschen ab. Erst als die größte Hitze vorbei
war, wagten wir uns wieder hinaus und konnten Hues berühmte
Zitadelle aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur von außen
anschauen. Die liegt versteckt hinter bombastischen Stadtmauern und
ihr innerster Teil heißt „Die verbotene Purpurstadt“. Was sich
hinter diesem märchenhaften Namen verbirgt, bleibt also weiterhin
erstmal unserer Fantasie überlassen.
In der Abenddämmerung fanden wir einen idyllischen Platz direkt am
Parfümfluss, der sich durch Hue schlängelt und genossen bei einem
frischen Saft die Aussicht auf den breiten Fluss, die brummende Stadt
und zwei Brücken, über die sich eine nie enden wollende Karawane
von Motorrädern wälzte. Das war solange idyllisch bis – WUMMTA,
UTZ, UTZ – an einem der umliegenden Straßenstände das Bedürfnis
nach Disco sehr groß wurde. Auf vietnamesisch natürlich. Wie alle
Asiaten (zumindest gefühlt), lieben die Vietnamesen schnulzigen und
peppig-elektronischen Pop und auch Sachen wie Modern Talking stehen
hoch im Kurs.
Die Zeit rennt und rennt und rennt uns davon. Ständig muss man
Sachen von seinem Reiseplan streichen und aussortieren und hat immer
noch zu wenig und will doch auch nicht hetzen und trotzdem etwas
sehen. Die Kaisergräber in Hue mussten dran glauben, denn am
nächsten Tag ging es bereits weiter nach Hoi An. Und nein, weil die
Zeit so knapp ist, lässt sich Nico keinen Anzug schneidern und ich
mir kein Kleid. Auch wenn das hier eigentlich alle machen und Hoi An
das Zentrum aller Schneider und aller Kleider und aller Seide ist.
Hoi An ist klein und bunt und vor allem alt – wie durch ein Wunder
ist es quasi die einzige vietnamesische Stadt, die während des
Vietnamkriegs nicht völlig ausgebombt wurde. Ein paar wenige Straßen
bilden das Stadtzentrum, sehr idyllisch an einem Fluss gelegenen und
überquellend mit Klamottenläden, Souvenirgeschäften, Restaurants
und kleinen Cafés. Nachdem Nico seine über alles geliebten
Flipflops in Indonesien verloren hatte, kam er hier in den Genuss von
maßgeschneidertem Ersatz – dafür reichte die Zeit dann doch. Auch
ich war ein, zwei, fix doch im Besitz zweier Sommerkleider, wenn auch
von der Stange. Endlich fand sich auch ein Fächermensch zur
richtigen Zeit am richtigen Ort und so zog ich fortan fröhlich
fächernd durch die Stadt. Abends saßen wir bei Bier und leckerem
vietnamesischen Essen am Fluss und beobachteten die schwimmenden
Teelichter, die von Touristen gekauft und ausgesetzt den Fluss
hinuntertrieben. Von Hoi An sind es nur wenige Kilometer zu Strand
und Meer, was wir am nächsten Tag mit geliehenen Fahrrädern
ausnutzten. Ein herrlicher Sandstrand erwartete uns, erstaunlich
ruhig für einen Stadtstrand, mit dem einzigen Nachteil, dass man
aufgrund des Windes ziemlich gesandstrahlt wurde. Das dem Peeling
folgende Salzbad in unglaublich warmem Wasser machte die
Kosmetiksession komplett, abgerundet wurde das ganze durch einen
ersten Hauch Ganzkörperbräune – es war schließlich unser erster
Besuch am Strand!
Nha Trang war unser nächster Halt oder vielmehr der nächste Halt
unseres Zugs. Uns hielt hier nichts, denn Nha Trang hat den Ruf des
vietnamesischen Ballermanns und darauf hatten wir, oh Wunder, eher
wenig Lust. Wenn man die Wahl hat zwischen Nha Trang und dem
Paradies, mal ehrlich, wer nimmt dann mit schlechter Musik, billigem
Fusel und grölenden Menschen vorlieb?
Das Paradies? Ja, wir haben das Paradies gefunden. Das Paradies liegt
60 km nördlich von Nha Trang an einem kilometerlangen weißen
Sandstrand, dessen eines Ende in einem kleinen Örtchen endet, das
andere an ein paar Felsen, die sich gut zum Schnorcheln eignen. Das
Meer ist türkisblau und glasklar und kleine Wellen schwappen in
regelmäßigen Abständen an den Strand. Zwischen lauter Palmen
stehen kleine Bambushütten mit etwas löchrigen Dächern, unser Bett
steht gar nur notdürftig mit einer Plane überdacht unter freiem
Himmel. Aber weil es bis zur Abreise nicht regnet, macht das nichts.
Im Paradies ist das Wetter nämlich meistens gut. Sonnig und warm.
Sehr sonnig und warm. Fast schon zu sonnig und warm. Der Strandsand
ist so heiß, dass man nur in Flipflops drüberlaufen kann und selbst
das wird ziemlich mollig von unten. In die Sonne legen tut man sich
lieber nicht (außer ein paar verrückten Engländern), stattdessen
sucht man sich ein schattiges Plätzchen unter einem
Bambusschattenspender. Im Paradies gammelt man den ganzen Tag am
Strand rum und wenn man nicht herumgammelt, dann liest man mal ein
Buch. Oder legt sich in die Hängematte. Oder vielleicht lieber doch
an den Strand. Eine Runde baden. Weiterlesen. Oh, Buch schon durch,
naja, ab ans nächste. Schnorcheln. Hängematte.
Wenn man nachts im Paradies badet, dann leuchtet und glitzert es um
dich herum, weil Millionen kleine bioluminiszierende Algen dir
Gesellschaft leisten.
Das Paradies hieß "Jungle Beach" und war eine Mischung aus
Ferienlager, Hippie-Kommune und Ressort. Das heißt, dass einem für
erwähnte rustikale Unterkunft verhältnismäßig viel Geld aus der
Tasche gezogen wird und trotzdem alle glücklich sind. Das Paradies
ist nämlich ganz und gar konkurrenzlos. Dreimal täglich gibt es
Essen und dann sitzen alle 25 Paradiesbewohner zusammen und lachen
und klönen und erzählen Reisegeschichten oder schweigen auch
einfach mal nur und irgendwann bemerkt jemand, dass das Essen etwas
besser und reichlicher sein könnte und alle nicken zustimmend und
dann wird die nächste Reisegeschichte ausgepackt. Überlandbusse,
Nepalpläne, Reiserouten. Zug versus Bus. Ob Sapa und Halong zu
touristisch sind. Kambodscha und Laos. Brennende Regenwälder auf
Borneo. Abends sitzen wir am Strand und schlürfen Bier, genießen
die Kühle und beobachten die Fischerboote, die mit hellen Lampen
versuchen Tintenfische anzulocken. Der Mond ist hell und das Wasser
so klar, dass man bauchtief im Wasser stehend noch seine Füße sehen
kann.
Das Paradies hat nur einen einzigen Nachteil: Nach drei Tagen muss
man weiter. Schnüff. Seufz. Sachen packen. Auf geht’s.