Dienstag, 3. September 2013

Vulkane, Gletscher und ein bisschen Stadt

Corvallis/Orgeon
Nach soviel Ferien ist es Zeit für ein wenig Arbeit. Auf nach Corvallis an die Oregon State University oder OSU, wie sie hier jeder nennt. Weil für die Studenten noch Sommerferien sind, liegt das kleine Städtchen im Sommerschlaf, es ist warm und sonnig und leer. Die verbliebenen Einwohner radeln die Schachbrettstraßen entlang, immer geradeaus bis zum nächsten Biosupermarkt. Meine Lunch-Pizza ist komplett organic, samstags bis mittwochs glutenfrei und damit voll im Trend. Local ist ein umsatzförderndes Zauberwort ohne das hier gar nichts läuft. Ist es die Nähe zur Hipsterstadt Portland in Oregon? Oder sind die Studenten schuld? Ich weiß es nicht und radle fröhlich grinsend in meinem braunen Wollpulli auf einem geliehenen Hollandrad zur Uni.

Meine Gastgeber sind die beiden Couchsurfer Gregg und Steph, selber begeisterte Radler und Mountainbiker, Neuseelandliebhaber und Besitzer der fröhlich-verspielten Cattledog-Pitbull-Mix-Hündin Brandy. Nach stundenlanger Laborarbeit entführen sie mich per Mountainbike in die nahen Berge und einer anstrengenden Strampelei bergauf mit toller Aussicht auf Stadt und Umland folgt eine halsbrecherische adrenalinreiche Fahrt bergab. Erst hinterher stelle ich fest, dass der Berg der gefühlten tausend Höhenmeter den wenig beeindruckenden Namen Dimple Hill trägt.

Weil man es mit Arbeit ja nicht übertreiben soll und ja außerdem Sommerferien sind, werde ich nach drei Tagen von Lucy eingesammelt, eine alte Neuseelandbekannte, mit der aus einer Mitfahrgelegenheit ein mehrmonatiger Roadtrip wurde. Vier Jahre später wollen wir ihn in einem neuen Land auf einem anderen Kontinent fortsetzen: Auf geht es.

Cascades (Oregon und Washington)
Mit zwei dicken Rucksäcken auf der Rückbank und dem Kofferraum voller Campingausrüstung ist Lucys Honda schon voll, bevor der Trip überhaupt begonnen hat. Gen Osten fahren wir der ersten Hügelkette entgegen und haben schon nach kurzer Zeit im Willamette National Forest keinen Radioempfang mehr. Die Stille füllen wir mit dem Versuch, die letzten vier Jahre per Geplapper aufzuholen und einen groben Plan für die nächsten Wochen zu entwerfen. Zwischendurch sorgt ein Bad im See für Erfrischung und die Entdeckung eines ganzen Brombeerwaldes am Seeufer schafft nicht nur dem Heißhunger Abhilfe, sondern sorgt außerdem für sehr lila Finger, zerkratzte Gliedmaßen und einen ganzen Eimer Brombeeren. Was wir damit wollen und wie lange sich ein Eimer Brombeeren in einem Kofferraum hält – zweitrangig, vielleicht kann man ja per Campingkocher Marmelade kochen?

Nachdem die Hügel hinter uns liegen und wir durch ein kleines Örtchen mit dem herzerweichenden Namen “Sweet Home” gedüst sind, erreichen wir Bend, ein Städtchen, das überwiegend durch die mangelnde Größe seines Stadtzentrums auffällt. Immerhin sieht es tiptop aus und der gepflegte Stadtrasen ist so schick, dass man darauf Golf spielen könnte. Außer der örtlichen Brauerei – voll lokal – gibt es wenig Anziehungspunkte, was nur insofern ein Problem darstellt, weil man auf einem Roadtrip ja nunmal meist viel Auto fährt. Mit Bier im Kofferraum statt im Magen testen wir unsere Navigationsfähigkeiten bei der Durchquerung von Portland und campen schließlich irgendwo im Stockedustern am Fuße des Mount Hood, der erste von vielen Vulkanen in den Cascades.

So nah sind wir am Mount Hood, dass man ihn gar nicht sieht von dem Gewirr aus Hügeln, Wäldern und Seen an seinem Fuß. Morgens ein Bad in spiegelglattem Wasser, dann geht es weiter, auf vier Rädern die kargen braunen Hänge des Vulkans empor. Mehrere hundert Meter aufwärts wird auf einem Schneefeld fleißig Ski gefahren und während wir in T-Shirt und Shorts spazieren gehen, kommen uns Ski-bepackte Menschen in Jacke, Schneehose und schweren Stiefeln entgegen. Dieser seltsamen Kulisse entflüchten wir und versuchen unser Glück am nächsten Vulkan: Mount St. Helens, der die USA und den Rest der Welt bei einem großen Ausbruch 1980 schwer erschreckte. Staunend klettern wir durch von Schlammlawinen freigewaschene Flussbetten, eine Höhle aus einem mehrere Kilometer langen Lavatunnel und Hügelhänge, die bis zum Horizont mit umgepusteten Bäumen gespickt sind. Bei einer langen Tageswanderung erklimmen wir den Rand des großen Lochs, das sich bildete als eine ganze Bergflanke beim Ausbruch kollabierte und gen Tal rauschte. Durch Asche und Geröll kraxeln wir aufwärts, einem Schritt vorwärts folgt ein halber rückwärts, die Asche rutscht, ich habe Sand zwischen den Zähnen. In der Ferne weiße Punkte verteilt über die Vulkanflanke, beim näheren Hinsehen entpuppen sie sich als Big Horn Sheep, wilde Schafe, deren Lebensraum bedroht ist. Unsere 6-Meilen-Wanderung ist irgendwie eher eine 10-Meilen-Wanderung als wir mit müden Füßen und dreckig paniert in einer Mischung aus Sonnencreme und Asche das Auto erreichen.

Seattle/Washington
Seattle ist grün und der Himmel graublau und so ganz ohne Regen überhaupt nicht wie Seattle. Mit Jakub und Dawid ein Bier im Garten von Jakubs Eltern, ein herrlich entspannter Segeltörn auf dem großen Lake Washington mit Jakubs Vater, während um uns herum das Stadtleben braust. Kichernd stehen wir fassungslos vor der Gum Wall, ein aus Kaugummi geschaffenes und von Passanten ständig erweitertes Stück Streetart, das einer Mischung aus Minze und süßlichem Bubble Gum vor sich hinduftet. Wir streunern durch Pike Place Market, eine Ansammlung aus Ständen, Buden und Läden über mehrere Stockwerke in einem länglichen Haus am Ufer der Elliott Bay und von dort zum nächsten Park, wo im Rahmen des “Hempfests” einige Openair-Konzerte stattfinden. Eine lustige Mischung Mensch mit latent gläsernem Blickgenießt die neugewonnene Freiheit, dass in Washington Marihuana legalisiert wurde. Abends trinken wir alle zusammen mit Sarah und der frisch eingetrudelten Maren ein Bierchen und spielen das Spiel “Wie lange können wir Maren schweigend angucken, bis sie merkt, dass sie gerade vor Jetlag eingeschlafen ist?”

Kanufahren, Kaffee trinkend in der Sonne liegen, durch grüne Parks schlendern. Im Sonnenuntergang am Strand einem Konzert lauschen und dabei Marshmallows überm Lagerfeuer rösten, die mit Crackern und Schokolade in Amerikas leckersten Grillnachtisch verwandelt werden: S'mores, die so heißen, weil man danach immer noch some more möchte. So wie wir some more Amerika.

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