Montag, 27. August 2012

Hue, Hoi An und das Paradies

Mit dem ersten Zug des Tages machten wir uns auf den Weg nach Hue, einer Stadt, die als das intellektuelle Herz Vietnams bezeichnet wird. Fasziniert stellte ich beim Blick aus dem Fenster fest, dass Vietnam von hier aus gen Süden deutlich trockener wird. Gar nicht mehr soviele Wasserpfützen, kaum noch Felder, die an Seen erinnern und wow – ist das etwa ein Fleck mit Sand? Reinem weißen Sand? Tatsache, nicht zu fassen. Statt Wasserspinat wachsen hier auch mal Kautschukbäume, statt Reis auch mal Maniok, statt Seerosen auch mal bunte Blumen auf dem Trockenen. Auf weiten, fast steppenartig anmutenden Wiesen sieht man mal immer wieder runde und ovale Löcher – Bombenkrater, herrührend von den Millionen Tonnen Munition, die auf vietnamesischem Boden landete und alles in Schutt und Asche legte, in einer Masse, die alles übertrifft, was im zweiten Weltkrieg in ganz Europa abgeworfen wurde.

Hue war heiß. Sehr heiß. 37°C wurde gemunkelt, bei altbekannten Luftfeuchtigkeitswerten. So heiß, dass man nur von Schatten zu Schatten huscht und sofort einen Fächer von einem der Fächerverkäufer kaufen würde, wenn sie denn mal da wären, wenn man sie braucht und nicht immer nur dann, wenn es gerade ganz gut auszuhalten ist. Nachdem unser ehrgeiziges Unterfangen an neues Bargeld zu kommen ein glückliches Ende gefunden hatte, ließen wir Hue erstmal Hue sein und chillten bei der coolen Klimaanlage in unserem Zimmer ein bisschen ab. Erst als die größte Hitze vorbei war, wagten wir uns wieder hinaus und konnten Hues berühmte Zitadelle aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nur von außen anschauen. Die liegt versteckt hinter bombastischen Stadtmauern und ihr innerster Teil heißt „Die verbotene Purpurstadt“. Was sich hinter diesem märchenhaften Namen verbirgt, bleibt also weiterhin erstmal unserer Fantasie überlassen.


In der Abenddämmerung fanden wir einen idyllischen Platz direkt am Parfümfluss, der sich durch Hue schlängelt und genossen bei einem frischen Saft die Aussicht auf den breiten Fluss, die brummende Stadt und zwei Brücken, über die sich eine nie enden wollende Karawane von Motorrädern wälzte. Das war solange idyllisch bis – WUMMTA, UTZ, UTZ – an einem der umliegenden Straßenstände das Bedürfnis nach Disco sehr groß wurde. Auf vietnamesisch natürlich. Wie alle Asiaten (zumindest gefühlt), lieben die Vietnamesen schnulzigen und peppig-elektronischen Pop und auch Sachen wie Modern Talking stehen hoch im Kurs.



Die Zeit rennt und rennt und rennt uns davon. Ständig muss man Sachen von seinem Reiseplan streichen und aussortieren und hat immer noch zu wenig und will doch auch nicht hetzen und trotzdem etwas sehen. Die Kaisergräber in Hue mussten dran glauben, denn am nächsten Tag ging es bereits weiter nach Hoi An. Und nein, weil die Zeit so knapp ist, lässt sich Nico keinen Anzug schneidern und ich mir kein Kleid. Auch wenn das hier eigentlich alle machen und Hoi An das Zentrum aller Schneider und aller Kleider und aller Seide ist.

Hoi An ist klein und bunt und vor allem alt – wie durch ein Wunder ist es quasi die einzige vietnamesische Stadt, die während des Vietnamkriegs nicht völlig ausgebombt wurde. Ein paar wenige Straßen bilden das Stadtzentrum, sehr idyllisch an einem Fluss gelegenen und überquellend mit Klamottenläden, Souvenirgeschäften, Restaurants und kleinen Cafés. Nachdem Nico seine über alles geliebten Flipflops in Indonesien verloren hatte, kam er hier in den Genuss von maßgeschneidertem Ersatz – dafür reichte die Zeit dann doch. Auch ich war ein, zwei, fix doch im Besitz zweier Sommerkleider, wenn auch von der Stange. Endlich fand sich auch ein Fächermensch zur richtigen Zeit am richtigen Ort und so zog ich fortan fröhlich fächernd durch die Stadt. Abends saßen wir bei Bier und leckerem vietnamesischen Essen am Fluss und beobachteten die schwimmenden Teelichter, die von Touristen gekauft und ausgesetzt den Fluss hinuntertrieben. Von Hoi An sind es nur wenige Kilometer zu Strand und Meer, was wir am nächsten Tag mit geliehenen Fahrrädern ausnutzten. Ein herrlicher Sandstrand erwartete uns, erstaunlich ruhig für einen Stadtstrand, mit dem einzigen Nachteil, dass man aufgrund des Windes ziemlich gesandstrahlt wurde. Das dem Peeling folgende Salzbad in unglaublich warmem Wasser machte die Kosmetiksession komplett, abgerundet wurde das ganze durch einen ersten Hauch Ganzkörperbräune – es war schließlich unser erster Besuch am Strand!

Nha Trang war unser nächster Halt oder vielmehr der nächste Halt unseres Zugs. Uns hielt hier nichts, denn Nha Trang hat den Ruf des vietnamesischen Ballermanns und darauf hatten wir, oh Wunder, eher wenig Lust. Wenn man die Wahl hat zwischen Nha Trang und dem Paradies, mal ehrlich, wer nimmt dann mit schlechter Musik, billigem Fusel und grölenden Menschen vorlieb?

Das Paradies? Ja, wir haben das Paradies gefunden. Das Paradies liegt 60 km nördlich von Nha Trang an einem kilometerlangen weißen Sandstrand, dessen eines Ende in einem kleinen Örtchen endet, das andere an ein paar Felsen, die sich gut zum Schnorcheln eignen. Das Meer ist türkisblau und glasklar und kleine Wellen schwappen in regelmäßigen Abständen an den Strand. Zwischen lauter Palmen stehen kleine Bambushütten mit etwas löchrigen Dächern, unser Bett steht gar nur notdürftig mit einer Plane überdacht unter freiem Himmel. Aber weil es bis zur Abreise nicht regnet, macht das nichts. Im Paradies ist das Wetter nämlich meistens gut. Sonnig und warm. Sehr sonnig und warm. Fast schon zu sonnig und warm. Der Strandsand ist so heiß, dass man nur in Flipflops drüberlaufen kann und selbst das wird ziemlich mollig von unten. In die Sonne legen tut man sich lieber nicht (außer ein paar verrückten Engländern), stattdessen sucht man sich ein schattiges Plätzchen unter einem Bambusschattenspender. Im Paradies gammelt man den ganzen Tag am Strand rum und wenn man nicht herumgammelt, dann liest man mal ein Buch. Oder legt sich in die Hängematte. Oder vielleicht lieber doch an den Strand. Eine Runde baden. Weiterlesen. Oh, Buch schon durch, naja, ab ans nächste. Schnorcheln. Hängematte.
Wenn man nachts im Paradies badet, dann leuchtet und glitzert es um dich herum, weil Millionen kleine bioluminiszierende Algen dir Gesellschaft leisten.


Das Paradies hieß "Jungle Beach" und war eine Mischung aus Ferienlager, Hippie-Kommune und Ressort. Das heißt, dass einem für erwähnte rustikale Unterkunft verhältnismäßig viel Geld aus der Tasche gezogen wird und trotzdem alle glücklich sind. Das Paradies ist nämlich ganz und gar konkurrenzlos. Dreimal täglich gibt es Essen und dann sitzen alle 25 Paradiesbewohner zusammen und lachen und klönen und erzählen Reisegeschichten oder schweigen auch einfach mal nur und irgendwann bemerkt jemand, dass das Essen etwas besser und reichlicher sein könnte und alle nicken zustimmend und dann wird die nächste Reisegeschichte ausgepackt. Überlandbusse, Nepalpläne, Reiserouten. Zug versus Bus. Ob Sapa und Halong zu touristisch sind. Kambodscha und Laos. Brennende Regenwälder auf Borneo. Abends sitzen wir am Strand und schlürfen Bier, genießen die Kühle und beobachten die Fischerboote, die mit hellen Lampen versuchen Tintenfische anzulocken. Der Mond ist hell und das Wasser so klar, dass man bauchtief im Wasser stehend noch seine Füße sehen kann.

Das Paradies hat nur einen einzigen Nachteil: Nach drei Tagen muss man weiter. Schnüff. Seufz. Sachen packen. Auf geht’s.

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