Samstag, 18. August 2012

Where you from?

Where you from? Where you from? Buy from me!“, schallte es aus 25 Mündern und 25 Paar Hände voller geknüpfter Freundschaftsbändchen, billiger Blechohrringe und Armreifen, bunten Haarbändern und bestickten Taschen reckten sich uns entgegen. Die vier spanischen Frauen, die zu unserer Wandertruppe gehörten, zeigten etwas ratlos auf ihre Arme, an denen jeweils schon vier Bändchen und ein Armreif baumelte – aber diese Ausrede zog nicht. Wer sich zu vier Freundschaftsbändchen hat gequatschen lassen, der kauft bestimmt noch ein fünftes und so erschallte der Chor von neuem: „Buy from me, buy from me!“

So hatten wir uns das eigentlich nicht vorgestellt. Wer nach Sapa kommt, der macht in 90% aller Fälle eine Tour mit, die durch die Dörfer der örtlichen Minderheiten führt, z.B. die der H'mong und der Roten Dzao und einen „Homestay“ beinhaltet, also die Übernachtung bei einer einheimischen Familie. Weil das interessant klang und soviele begeisterte Menschen ja nicht irren können, machten wir also das gleiche und wurden morgens von einer fröhlichen Gruppe Mädels in schwarzen Trachten eingesammelt, die allesamt halb so groß waren wie ich. Aufgrund latent bruchstückhafter Englischkenntnisse auf der einen und fehlender Vietnamesisch- und H'mongkenntnisse auf der anderen Seite verlief der Kontakt zu unserer Reiseführergruppe meist nach dem immergleichen Schema:
Where you from?“ (Where you from scheint in Sapa eine ähnliche Begrüßungsformel zu sein wie How are you in den USA.)
I'm from Germany!“
Ooooh... what you name?“
I'm Julie and this is Nico. And what's yours?“
#*#*#* (unaussprechliches Geräusch)
Irritierte Pause unsererseits. Dann: „Mmh, that is very complicated.“ (Wort eh schon wieder vergessen.)
How old you?“
Ich: „I'm 23.“
Nico: „I'm 26.“
Beide: „And you?“
(Setze beliebige Zahl zwischen 11 und 56 ein)


Von Sapa führte die Tour bergab, aus dem malerisch am Berghang gelegenen Städtchen mit dem Charme eines Bergkurorts heraus und entlang einer geteerten Straße an Marmorfelsen vorbei. Irgendwann führt der Weg dann Gott sei Dank nicht mehr an der Hauptstraße entlang, sondern entlang von lehmigen Pfaden und Wegen, die sich durch die Reisterrassen schlängeln. Während im Rest des Landes überwiegend zweimal im Jahr Reis geerntet werden kann und im fruchtbaren Süden sogar eine dreifache Ernte möglich ist, gibt die bergige Region und das angenehm kühle Klima hier in der nördlichen Bergregion nur eine einzige Reisernte her und die Felder standen noch in voller Frucht. Je nach Reissorte erschien das Meer von Reishalmen von oben gesehen eher gelbgrünlich oder leuchtend satt grün und rund um uns herum gluckste das Wasser, das von den Bergbächen abgezweigt und mit kleinen Lehmwällen über die Felder geleitet wird. 




In regelmäßigen Abständen standen am Weg Stände mit Erfrischungsgetränken, Snacks und Souvenirs und wo immer die Wandergruppe zum Lunchen hingeführt wurde, wurde sie sofort von einer Horde Trachtenmädchen empfangen, die die immer gleichen Sachen verkaufen wollten und von denen die Hälfte eher die Schulbank drücken sollte als Touristen Sachen anzudrehen, die sie eh nicht haben wollten. Am Nachmittag erreichten wir unseren Homestay – da die Anzahl der Dorffamilien allerdings gering ist im Vergleich zur anströmenden Tourimenge, wurde kurzerhand ein zusätzliches Haus gebaut, das jede Menge dünner Matratzen und Toilette und Dusche mit warmem und kaltem Wasser beherbergte und auch sonst nichts an westlichem Komfort missen ließ. Außerordentlich typisch und echt also. Nach einem herrlich erfrischendem Bad im Sonnenschein diskutierten Nico und ich bei einem Bierchen, warum uns das Reisen in Vietnam trotz aller Landesschönheit bisher noch nicht so vom Hocker gerissen hat.

Vietnam ist unglaublich touristisch und die Massen an Touristen verteilen sich leider nicht, sondern werden in immer gleichen Bahnen von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit gelotst. Drumherum ist ein ausgefeiltes System an Reiseagenturen und -büros installiert, die einen mehr die anderen weniger dubios, die diese Lotserei übernehmen. Auf eigene Faust ist es schwierig von dieser Massenwanderung wegzukommen, einerseits weil man Highlights wie die Halong-Bucht natürlich auch gern sehen möchte, andererseits weil die einheimischen Strukturen abseits der Touriwege schwierig zu benutzen sind. Natürlich gibt es normale Busse, diese fahren aber zu Zeiten, die man von nicht-englischsprachigen Menschen erfragen muss, genauso wie ihre Routen, die sich gerne ändern. Hinweisschilder und Richtungsweiser sind ähnlich rar wie angeschnallte Autofahrer. Es gibt Autos, aber Nicht-Vietnamesen dürfen hier nicht Auto fahren und Taxifahrer versuchen gerne, einen über den Tisch zu ziehen. Man kann Motorräder mieten, muss aber höllisch auf den Verkehr aufpassen, denn Verkehrsregeln gibt es hier schlichtweg nicht. Es hat einfach derjenige Vorfahrt, der am lautesten hupt und am wenigsten so aussieht, als würde er noch anhalten können. Im Vergleich zu Indonesien fahren die Menschen hier seltsam langsam, oft nur 50 km/h auf breiten und gut ausgebauten Straßen, überholen aber wie die Bekloppten und hupen, statt sich umzusehen. In Indonesien war die Hupe zwar auch primär ein Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen, aber kein Ersatz fürs Gucken und so kommt es uns so vor, als ob es hier deutlich häufiger Beinah-Unfälle gibt.

Vielleicht, vielleicht haben wir auch einfach noch keine weniger touristischen Gefilde erreicht und es wird alles noch viel angenehmer. Was ja auch gar nicht heißen soll, dass das Reisen hier unangenehm ist. Es ist bloß so anders als das, was wir erwartet hatten, und auch so unterschiedlich vom komplett untouristischen Borneotrip. Ein Kulturschock kann einen anscheinend auch umhauen, wenn er plötzlich seine Richtung ändert!

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