Mittwoch, 22. August 2012

Dschungel und Höhlen

Ein allerletztes Mal. Ein allerallerletztes Mal wollten wir versuchen mithilfe des organisierten Touristensystems etwas abseits des organisierten Touristensystems zu reisen. Eine letzte Chance, sonst – so hatten wir geschworen – würden wir hier nie wieder eine Tour buchen. So entschlossen, hockten wir im frühmorgendlichen Halbdunkel vor dem Büro einer Agentur in Hanoi, frisch eingetrudelt mit dem Nachtzug aus Sapa, der uns um halb 5 Uhr am Bahnhof abgesetzt hatte. Um uns herum erwachte langsam die Stadt. Die Vietnamesen sind wahre Frühaufsteher und morgens sprießen an allen Straßenecken und -enden plötzlich kleine Straßencafés aus dem Boden, aufgebaut aus ein paar klitzekleinen Plastikstühlen und -tischchen. Es duftete nach Phó, der typischen Nudelsuppe, die gern zum Frühstück verspeist wird, und nach Kaffee. Frauen trugen riesige geschulterte Körbe mit Obst und Gemüse die Straßen entlang und es wurde fleißig gehandelt und getratscht und diskutiert und über uralte Handwaagen abgewogen und erneut diskutiert. Manchmal setzte man sich einfach mit unterschiedlichen Waren zusammen und vergrößerte so sein Angebot: Die Frau mit den frisch gerupften Hühnchen hockte neben der Frau mit zwei riesigen Körben Gemüse und die Frau mit den befruchteten Enteneiern (hier eine Delikatesse!) verhalf der Nudelsuppe des angrenzenden Straßencafés zur Perfektion. Die Zeitungsfrau hockte sich dazu und schlürfte einen Kaffee und teilte erst weiter Zeitungen aus, nachdem sie sie samt und sonders selber gelesen hatte. Zwei Männer von der Müllabfuhr schoben einen großen Müllcontainer und sammelten die Müllhäufchen ein, die die Anwohner vorher penibel auf ihren Bürgersteigen zusammengefegt hatten. Auch unser Frühstück stammte von einem Straßenstand: Leckere kleine Baguettes, wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit, gefüllt mit Omelette, Zwiebel, Minze und ein bisschen Fleisch.

Als die Sonne längst aufgegangen war, trafen wir unsere restliche Reisgruppe: Ein Ehepaar aus Stuttgart mit ihrer 15-jährigen Tochter Carla, und zusammen ging es zum Cuc Phuong National Park über viele staubige Straßen mit vielen verrückten Busfahrern. Um den Primaten- und Affenmangel aus Indonesien auszugleichen, besuchten wir zuerst ein Primatenzentrum, in dem aus Gefangenschaft und Wilderei befreite Primaten wieder aufgepäppelt und weitergezüchtet werden, um sie eines Tages wieder in die freie Wildbahn zu entlassen. 


Nachmittags wanderten wir durch den dichten Dschungel des Parks und entdeckten allerhand an Krabbeltieren: Ein kunterbunter Hundertfüßler, Spinnen, so groß wie ein Handteller mit langen Beinen (das freute besonders Carla mit ihrer Spinnenphobie!) und Schmetterlinge mit der gefühlten Spannbreite eines Unterarms. Nachdem Carla sichergestellt hatte, dass keine einzige Spinne mehr in ihrem Zimmer war, saßen wir abends Karten spielend und Bierchen schlürfend auf der Terrasse unserer direkt im Nationalpark gelegenen Herberge und lauschten den Dschungelgeräuschen – dank Stromausfall bei Kerzenschein, was das ganze besonders gemütlich machte.

Am nächsten Tag bekamen wir Verstärkung von zwei Spaniern und machten gemeinsam eine Fahrradtour mit den am fürchterlichst eingestellten Fahrrädern der Welt (Ich vermiss mein Fahrrad!!). Über viele Sandwege und durch kleine Dörfer ging es bis zu einem Berg, dessen Gipfel eine kleine Pagode schmückte. 500 Stufen führten hinauf, in Stufenhöhen, die latent eher für 3m-Menschen gemacht waren – wieso bauten die kleinen Vietnamesen bloß so hohe Stufen?? Bei 34°C und 96% Luftfeuchtigkeit (später dann auch 100%) war die Krabbelei zur Spitze ein anstrengendes Unterfangen, bei dem man ungefähr genauso nass hinterher war, als hätte man gerade gebadet (nur weniger frisch). Besonders schön ist es, wenn das Salz auf der Haut zu kleinen krümeligen Kristallen anwächst, die dank der Schicht aus Sonnencreme richtig schön an der Haut kleben...


Später ließen wir uns per Ruderboot durch die Grotten von Trang An paddeln, ein Gewirr von unter Wasser stehenden langgestreckten Höhlen, die mehrere kleine Seen und Flüsschen verbinden. Auch der nächste Tag wartete mit mehreren Bootstouren auf, unter anderem zu den sogenannten „floating Villages“, Dorfgemeinschaften, die früher mehr oder weniger ausschließlich aus bewohnten Bootskolonien bestanden. Inzwischen wohnen die meisten in festen Häusern an Land, aber da drumherum alles unter Wasser steht, findet das meiste Leben auf dem Wasser statt (inklusive Fernsehgucken, siehe Foto unten). Der durch das Dorf fließende Fluss ist gleichzeitig Bürgersteig, Straße, Marktplatz, Waschanlage und Hafen, was sehr faszinierend anzusehen ist. 



Überhaupt Wasser! Manchmal scheint es mir, dass ganz Vietnam nur aus Wasser besteht! Überall wo es seichte Wasserflächen gibt, wird Reis angebaut und durch die Reisfelder ziehen sich lange Lehmdämme über die man trockenen Fußes marschieren kann. An etwas tieferen Stellen wird Wasserspinat geerntet und Seerosen, die als Viehfutter zu Bündeln zusammengeschnürt werden. Überall angeln und fischen die Menschen oder sammeln Wasserschnecken vom Untergrund. Sogar die Rinder liegen hier im Wasser: Für Wasserbüffel gibt es nichts schöneres als sich in halbtiefen Pfützen zu suhlen.


Nach Ende unserer sehr gelungenen Tour (die letzte Chance hat sich gelohnt!) ließen wir uns in Ninh Binh (gesprochen Ning Bing) absetzen, einer industriell geprägten Provinzstadt, die für Einheimische deutlich interessanter ist als für Touristen. Wir schlenderten über einen riesigen Markt, wo einfach alles verkauft wurde: Gemüse, Obst, alles erdenkliche an Kräutern und Gewürzen in flachen runden Körben von enormem Durchmesser und eine große Auswahl an Fleisch, Fisch und anderem Meeresgetier, sowie Schnecken und Muscheln. Da sich bei den hohen Temperaturen und den eingeschränkten Kühlmöglichkeiten nichts besonders lange hält, wird alles lebendige möglichst lange am Leben gelassen und so schwammen die Fische dicht an dicht in riesigen Wannen, die Krebse krabbelten durch ihre Schüssel und stapelten sich übereinander bis sie fast den Schüsselrand erreichten und die Enten waren der makaberen Situation ausgesetzt, dass sie mit zusammengebundenen Füßen auf dem Boden sitzend auf ihren kopflosen gerupften Artgenossen guckten, der auf einem Tablett präsentiert wurde.

Von Ninh Binh reisten wir mit dem Zug bis nach Dong Hoi, wo wir von einem Jeep eingesammelt und zu unserer nächsten Unterkunft gebracht wurden: Phong Nha Farmstay, ein kleines Guesthouse mitten im Nirgendwo mit vielen Backpackern und ganz weit weg vom Trubel. Ganz in der Nähe befand sich der Phong Nha Ke-Ba Nationalpark mit der größten Höhle der Welt. Da diese leider noch nicht begehbar ist (sie wurde erst 2009 entdeckt), mussten wir mit der kleineren Phong Nha Höhle vorlieb nehmen, die aber ebenfalls beeindruckend schön war. Riesige Stalagtiten hingen wie riesige Zähne von der Decke und waren namensgebend für die Höhle, deren Namen übersetzt „Drachenhöhle“ heißt. Stalagmiten reckten sich ihnen entgegen und das von der Decke tropfende Gemisch aus Kalk und Sand formte riesige Gebilde, von denen manche an Tropfsandburgen am Strand erinnerten, während andere eher nach Korallenriffen und schwarzen Rauchern aus der Tiefsee aussahen. Während des amerikanischen Kriegs versteckten die Vietnamesen eine schwimmende Brücke tagsüber in der Höhle und holten sie nachts hervor, um den Warentransport über den Fluss zu ermöglichen. Den Amerikanern war lange nicht klar, wie zur Hölle durch dieses unwegsame Karstgebiet immer noch Nachschub gelingen konnte bis sie auf die Idee kamen mit Raketen das ganze Tal zu erhellen und Fotos zu schießen. Dabei entdeckten sie die Höhle mit der Brücke und sandten prompt ein paar Raketen gen Höhlenmündung, bei denen ein paar Drachenzähne dran glauben mussten. Nicht alle trafen die Höhlenöffnung und so kann man heute noch viele Einschlagskrater im umliegenden Gestein sehen.


Viel zu schnell war die Zeit in diesem abgelegenen Teil Vietnams vorbei, wo man als Weißer noch winkend und mit „Hello“-Rufen im Dorf von den Kindern empfangen wird. Während unserer Radtour zur Höhle trafen wir auf eine Horde Kinder, die gerade Schulschluss hatten und nun nach Hause radelten. Während einige sich kurzerhand anhaltermäßig bei Nico auf den Gepäckträger setzten und ein Stück mitfuhren, waren anderen ganz erpicht darauf, uns in einem Wettrennen abzuhängen. Viel Gelächter, Gewinke, Gekreisch und noch mehr „hello“ und ein paar mal „where you from?“, altbekannt aber ohne angebotenen Trödelkrimskrams, den niemand braucht. Das Leben ist schön, Vietnam erst recht.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen