Ein allerletztes Mal. Ein allerallerletztes Mal wollten wir versuchen
mithilfe des organisierten Touristensystems etwas abseits des
organisierten Touristensystems zu reisen. Eine letzte Chance, sonst –
so hatten wir geschworen – würden wir hier nie wieder eine Tour
buchen. So entschlossen, hockten wir im frühmorgendlichen Halbdunkel
vor dem Büro einer Agentur in Hanoi, frisch eingetrudelt mit dem
Nachtzug aus Sapa, der uns um halb 5 Uhr am Bahnhof abgesetzt hatte.
Um uns herum erwachte langsam die Stadt. Die Vietnamesen sind wahre
Frühaufsteher und morgens sprießen an allen Straßenecken und
-enden plötzlich kleine Straßencafés aus dem Boden, aufgebaut aus
ein paar klitzekleinen Plastikstühlen und -tischchen. Es duftete
nach Phó, der typischen Nudelsuppe, die gern zum Frühstück
verspeist wird, und nach Kaffee. Frauen trugen riesige geschulterte
Körbe mit Obst und Gemüse die Straßen entlang und es wurde fleißig
gehandelt und getratscht und diskutiert und über uralte Handwaagen
abgewogen und erneut diskutiert. Manchmal setzte man sich einfach mit
unterschiedlichen Waren zusammen und vergrößerte so sein Angebot:
Die Frau mit den frisch gerupften Hühnchen hockte neben der Frau mit
zwei riesigen Körben Gemüse und die Frau mit den befruchteten
Enteneiern (hier eine Delikatesse!) verhalf der Nudelsuppe des
angrenzenden Straßencafés zur Perfektion. Die Zeitungsfrau hockte
sich dazu und schlürfte einen Kaffee und teilte erst weiter
Zeitungen aus, nachdem sie sie samt und sonders selber gelesen hatte.
Zwei Männer von der Müllabfuhr schoben einen großen Müllcontainer
und sammelten die Müllhäufchen ein, die die Anwohner vorher penibel
auf ihren Bürgersteigen zusammengefegt hatten. Auch unser Frühstück
stammte von einem Straßenstand: Leckere kleine Baguettes,
wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der französischen Kolonialzeit,
gefüllt mit Omelette, Zwiebel, Minze und ein bisschen Fleisch.
Als die Sonne längst aufgegangen war, trafen wir unsere restliche
Reisgruppe: Ein Ehepaar aus Stuttgart mit ihrer 15-jährigen Tochter
Carla, und zusammen ging es zum Cuc Phuong National Park über viele
staubige Straßen mit vielen verrückten Busfahrern. Um den Primaten-
und Affenmangel aus Indonesien auszugleichen, besuchten wir zuerst
ein Primatenzentrum, in dem aus Gefangenschaft und Wilderei befreite
Primaten wieder aufgepäppelt und weitergezüchtet werden, um sie
eines Tages wieder in die freie Wildbahn zu entlassen.
Nachmittags
wanderten wir durch den dichten Dschungel des Parks und entdeckten
allerhand an Krabbeltieren: Ein kunterbunter Hundertfüßler,
Spinnen, so groß wie ein Handteller mit langen Beinen (das freute
besonders Carla mit ihrer Spinnenphobie!) und Schmetterlinge mit der
gefühlten Spannbreite eines Unterarms. Nachdem Carla sichergestellt
hatte, dass keine einzige Spinne mehr in ihrem Zimmer war, saßen wir
abends Karten spielend und Bierchen schlürfend auf der Terrasse
unserer direkt im Nationalpark gelegenen Herberge und lauschten den
Dschungelgeräuschen – dank Stromausfall bei Kerzenschein, was das
ganze besonders gemütlich machte.
Am nächsten Tag bekamen wir Verstärkung von zwei Spaniern und
machten gemeinsam eine Fahrradtour mit den am fürchterlichst
eingestellten Fahrrädern der Welt (Ich vermiss mein Fahrrad!!). Über
viele Sandwege und durch kleine Dörfer ging es bis zu einem Berg,
dessen Gipfel eine kleine Pagode schmückte. 500 Stufen führten
hinauf, in Stufenhöhen, die latent eher für 3m-Menschen gemacht
waren – wieso bauten die kleinen Vietnamesen bloß so hohe Stufen??
Bei 34°C und 96% Luftfeuchtigkeit (später dann auch 100%) war die
Krabbelei zur Spitze ein anstrengendes Unterfangen, bei dem man
ungefähr genauso nass hinterher war, als hätte man gerade gebadet
(nur weniger frisch). Besonders schön ist es, wenn das Salz auf der
Haut zu kleinen krümeligen Kristallen anwächst, die dank der
Schicht aus Sonnencreme richtig schön an der Haut kleben...
Später ließen wir uns per Ruderboot durch die Grotten von Trang An
paddeln, ein Gewirr von unter Wasser stehenden langgestreckten
Höhlen, die mehrere kleine Seen und Flüsschen verbinden. Auch der
nächste Tag wartete mit mehreren Bootstouren auf, unter anderem zu den
sogenannten „floating Villages“, Dorfgemeinschaften, die früher
mehr oder weniger ausschließlich aus bewohnten Bootskolonien
bestanden. Inzwischen wohnen die meisten in festen Häusern an Land,
aber da drumherum alles unter Wasser steht, findet das meiste Leben
auf dem Wasser statt (inklusive Fernsehgucken, siehe Foto unten). Der durch das Dorf fließende Fluss ist
gleichzeitig Bürgersteig, Straße, Marktplatz, Waschanlage und
Hafen, was sehr faszinierend anzusehen ist.
Überhaupt Wasser! Manchmal scheint es mir, dass ganz Vietnam nur aus
Wasser besteht! Überall wo es seichte Wasserflächen gibt, wird Reis
angebaut und durch die Reisfelder ziehen sich lange Lehmdämme über
die man trockenen Fußes marschieren kann. An etwas tieferen Stellen
wird Wasserspinat geerntet und Seerosen, die als Viehfutter zu
Bündeln zusammengeschnürt werden. Überall angeln und fischen die
Menschen oder sammeln Wasserschnecken vom Untergrund. Sogar die
Rinder liegen hier im Wasser: Für Wasserbüffel gibt es nichts
schöneres als sich in halbtiefen Pfützen zu suhlen.
Nach Ende unserer sehr gelungenen Tour (die letzte Chance hat sich
gelohnt!) ließen wir uns in Ninh Binh (gesprochen Ning Bing)
absetzen, einer industriell geprägten Provinzstadt, die für
Einheimische deutlich interessanter ist als für Touristen. Wir
schlenderten über einen riesigen Markt, wo einfach alles verkauft
wurde: Gemüse, Obst, alles erdenkliche an Kräutern und Gewürzen in
flachen runden Körben von enormem Durchmesser und eine große
Auswahl an Fleisch, Fisch und anderem Meeresgetier, sowie Schnecken
und Muscheln. Da sich bei den hohen Temperaturen und den
eingeschränkten Kühlmöglichkeiten nichts besonders lange hält,
wird alles lebendige möglichst lange am Leben gelassen und so
schwammen die Fische dicht an dicht in riesigen Wannen, die Krebse
krabbelten durch ihre Schüssel und stapelten sich übereinander bis
sie fast den Schüsselrand erreichten und die Enten waren der
makaberen Situation ausgesetzt, dass sie mit zusammengebundenen Füßen
auf dem Boden sitzend auf ihren kopflosen gerupften Artgenossen
guckten, der auf einem Tablett präsentiert wurde.
Von Ninh Binh reisten wir mit dem Zug bis nach Dong Hoi, wo wir von
einem Jeep eingesammelt und zu unserer nächsten Unterkunft gebracht
wurden: Phong Nha Farmstay, ein kleines Guesthouse mitten im
Nirgendwo mit vielen Backpackern und ganz weit weg vom Trubel. Ganz
in der Nähe befand sich der Phong Nha Ke-Ba Nationalpark mit der
größten Höhle der Welt. Da diese leider noch nicht begehbar ist
(sie wurde erst 2009 entdeckt), mussten wir mit der kleineren Phong
Nha Höhle vorlieb nehmen, die aber ebenfalls beeindruckend schön
war. Riesige Stalagtiten hingen wie riesige Zähne von der Decke und
waren namensgebend für die Höhle, deren Namen übersetzt
„Drachenhöhle“ heißt. Stalagmiten reckten sich ihnen entgegen
und das von der Decke tropfende Gemisch aus Kalk und Sand formte
riesige Gebilde, von denen manche an Tropfsandburgen am Strand
erinnerten, während andere eher nach Korallenriffen und schwarzen
Rauchern aus der Tiefsee aussahen. Während des amerikanischen Kriegs
versteckten die Vietnamesen eine schwimmende Brücke tagsüber in der
Höhle und holten sie nachts hervor, um den Warentransport über den
Fluss zu ermöglichen. Den Amerikanern war lange nicht klar, wie zur
Hölle durch dieses unwegsame Karstgebiet immer noch Nachschub
gelingen konnte bis sie auf die Idee kamen mit Raketen das ganze Tal
zu erhellen und Fotos zu schießen. Dabei entdeckten sie die Höhle
mit der Brücke und sandten prompt ein paar Raketen gen
Höhlenmündung, bei denen ein paar Drachenzähne dran glauben
mussten. Nicht alle trafen die Höhlenöffnung und so kann man heute
noch viele Einschlagskrater im umliegenden Gestein sehen.
Viel zu schnell war die Zeit in diesem abgelegenen Teil Vietnams
vorbei, wo man als Weißer noch winkend und mit „Hello“-Rufen im
Dorf von den Kindern empfangen wird. Während unserer Radtour zur
Höhle trafen wir auf eine Horde Kinder, die gerade Schulschluss
hatten und nun nach Hause radelten. Während einige sich kurzerhand
anhaltermäßig bei Nico auf den Gepäckträger setzten und ein Stück
mitfuhren, waren anderen ganz erpicht darauf, uns in einem Wettrennen
abzuhängen. Viel Gelächter, Gewinke, Gekreisch und noch mehr
„hello“ und ein paar mal „where you from?“, altbekannt aber
ohne angebotenen Trödelkrimskrams, den niemand braucht. Das Leben
ist schön, Vietnam erst recht.
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