Montag, 6.8.2012
Viel ist passiert in den letzten Tagen. Soviel, dass ich vor lauter
Ereignissen das Blogschreiben völlig vergessen habe – ich werd
versuchen, euch fix und nicht allzu auschweifend auf den neusten
Stand der Dinge zu bringen.
Letzter Stand war: Banjarbaru, Ende der Feldarbeit für Nico in
SE-Kalimantan, Packen und Verschicken der Gesteinsproben, während
ich in den vorübergehenden Genuss kam, Bett und Fernsehen zu
genießen. Was ich mir trotzdem nicht entgehen lassen konnte, war ein
Besuch des „Floating Market“ in Banjarmasin, auf den ich mich
schon gefreut habe seit Nico mir das erste Mal von Indonesien erzählt
hat. Im Morgengrauen fuhren wir mit Joko und Gimin nach Banjarmasin,
das aufgrund seiner vielen Kanäle auch als das „Venedig Asiens“
bezeichnet wird. Nach einigen Verhandlungen fand sich schnell ein
Mensch mit Boot, der sich bereit erklärte uns gegen Geld zum
schwimmenden Markt zu kutschieren, während die Sonne mit
Hochgeschwindigkeit über den Horizont krabbelte. Hunderte Frauen
trieben in kleinen Kanus auf dem Fluss, ein jedes beladen mit
frischem Obst und Gemüse: Orangen, Bananen, Ananas, Melonen,
riesigem gurkenartigen Gemüse und Kräuter und dazwischen diversem,
von dem ich nicht annähernd sagen könnte, um was es sich handelte.
Bei einigem war selbst Joko mit seinem Latein bzw. Englisch am Ende.
Überwiegend handeln die Frauen hier untereinander und so fanden
viele Tauschgeschäfte statt. Bananen gegen Fisch, Gemüse gegen ein
frisch geschlachtetes Hühnchen. Viele der Frauen trugen bunte
Kopftücher und riesige geflochtene Hüte, die gleichzeitig Sonnen-
und Regenschutz waren. Ein wahrer Augenschmaus, das bunte Treiben im
Sonnenaufgang!
Von Banjarbaru ging es schließlich per Flieger weiter nach Pontianak
in Westkalimantan. Wegen der schlechten Straßen würde man per Bus
oder Auto mehrere Tage brauchen, daher legten wir die Strecke per
Flieger zurück – mit einem Zwischenstopp in Jakarta, weil alle
Orte gut an die Hauptstadt angebunden, aber schlecht untereinander
erreichbar sind. Von Pontianak waren Nico und ich gleichermaßen
überrascht: Wir hatten erwartet, dass es hier eher noch
hinterwäldlerischer zugeht als im ziemlich dicht besiedelten
Banjarbaru, aber Pustekuchen! Riesige Prachtbauten säumten die
Straße vom Flughafen in die Stadt, das Haus des lokalen
Regierungschefs, diverse Sitze von Explorationsfirmen. Der Rest der
Stadt war ziemlich zubetoniert und strahlte den Charme einer
Asphaltwüste aus. Viele zugezogene Chinesen wohnen hier und so ist
die Stadt etwas weniger streng muslimisch – aber immer noch streng
genug, dass man als Frau besser nicht nur mit Bikini im Hotelpool
badet. Stattdessen darf man hier, was zuhause streng verboten ist und
von jedem Bademeister sofort geahndet wird, nämlich mit Klamotten in
den Pool hüpfen. Das macht bloß leider nur halb soviel Spaß, wenn
man keine Wahl hat!
Das ist die Sache mit der Religion. Indonesien ist das nach
Einwohnerzahl größte muslimische Land der Erde und Religion wird
hier ziemlich ernst genommen, auch wenn die überwältigende Mehrheit
der Indonesier eine sehr strenge Auslegung des Korans nach arabischer
Art vehement ablehnt. Das wirkt sich äußerst positiv auf die Rolle
der Frauen aus, die den Männern durchaus gleichgestellt sind und
frei entscheiden, ob sie ihre Haare mit einem Kopftuch verdecken
möchten. An jeder Ecke und in jedem Dorf gibt es eine Moschee und
häufig wird auf den umliegenden Straßen einer Moschee Geld für
Erneuerungs- oder Erweiterungsarbeiten gesammelt. Seit ca. 2 Wochen
ist hier Ramadan, also Fastenmonat. Gegessen werden darf erst nach
einer astronomisch berechneten Zeit (ungefähr zwischen Sonnenunter-
und wieder -aufgang). Das gilt natürlich nicht für uns, dennoch ist
es tagsüber nicht immer so ganz einfach, etwas zu essen aufzutreiben
und wenn man dann doch etwas isst oder trinkt, dann freuen sich die
Menschen hier, wenn man sich für kulinarische Genüsse aus Respekt
für ihre Kultur diskret zurückzieht und es nicht unbedingt direkt
vor ihrer Nase macht. Ähnlich ist es mit dem Anziehen, es wird
positiv aufgenommen, wenn man sich als Frau schulterbedeckende
Oberteile ohne großen Ausschnitt anzieht, auch wenn man sich bei
32°C nach dem hellen Top und den Shorts sehnt!
Fünfmal täglich wird gen Mekka gebetet, angekündigt und begleitet
durch den Ruf des Muezzin von den Moscheen. Da das Geld knapp ist,
rufen hier nur Tonbandaufnahmen, was je nach Lautsprecherqualität
durchaus strapaziös für die Ohren sein kann. Zu Ramadan wird nachts
um 4 das Vor-Sonnenaufgang-Frühstück eingenommen, zu dem alle
aufstehen und auch die Lautsprecher wieder ordentlich Rambazamba
machen. Das ist latent unpraktisch, wenn man lieber ungestört
schlafen würde.
Zwei Tage verbrachten wir in der Nähe des Sungai Landak, wo Nico
seine letzten Diamanten erstand und wir Gimin sehr vermissten. Der
war nämlich in Banjarbaru geblieben, hier in Westkalimantan wurden
wir von einem Studenten namens Eric herumgefahren, der den Mund nicht
aufbekam und so rabiat aufs Gaspedal trat, dass wir auf der Rückbank
aufpassen mussten, dass wir uns nicht beim temporeichen Durchfahren
eines Schlaglochs an der Autodecke eine Gehirnerschütterung
einfingen. Gott sei Dank erklärte ihm Joko irgendwann, dass es
vielleicht nicht nötig sei mit 80 km/h durch Dörfer zu rasen, wo
Kinder auf der Straße spielen und dass er vielleicht vor
Schlaglöchern vorsichtig abbremsen könnte, weil die Fahrt doch
etwas ungemütlich sei. Sehr diplomatische Übersetzung der Flüche
von der Rückbank!
Ein Highlight auf der Fahrt gab es dennoch: Einen Stop am Äquator!
Pontianak liegt nämlich ziemlich genau auf dem Äquator und so
steuerten wir zielstrebig das Äquatordenkmal an – nur um
festzustellen, dass es gar nicht genau auf dem Äquator liegt! Huch?!
Den Äquator zeigten Nicos und Jokos GPS-Geräte erst 100 m weiter
südlich an, irgendwo an einem unspektakulären Straßenrand. Direkt
gegenüber gab es ein klitzekleines Straßenrestaurant, das wir
zielstrebig ansteuerten – wann hat man sonst schonmal das Vergnügen
auf dem Äquator zu Abend zu essen?
Borneo ist mit Sumatra einer der letzten Rückzugsorte, wo es noch
Orang-utans in freier Wildbahn gibt, zumindest in einigen wenigen
Nationalparks. Einen von ihnen, den Nationalpark Gunung Palung,
wollten Nico und ich besuchen und unseren rothaarigen Vorfahren einen
Besuch abstatten. Das Vorhaben gestaltete sich organisatorisch dann
allerdings etwas komplizierter als die bloße Idee vermuten ließ.
Von Pontianak mussten wir per Taxi eine Stunde zum Hafen Rasau Jaya
fahren, von dort das richtige Speedboat ergattern, das uns in vier
Stunden über ein Wirrwarr von Flussarmen mit Mangroven und eine
offene Meeresbucht zum Ort Melanau brachte.
Von dort ging es per
Motorradtaxi (man setzt sich einfach bei einem Einheimischen hinten
mit aufs Motorrad) nach einer halbstündigen Fahrt nach Sukadana,
erst zum Büro des Nationalparks und dann zum einzigen
Ökotourismusbüro, das eine Lizenz für Touren durch den Park hatte.
Nach viel hin und her verbrachten wir dann wie erhofft 3 Tage im
Urwald am Berg Lubuk Baji in einer rustikalen Holzhütte auf Stelzen
und wanderten tagsüber mit zwei Tourguides durch die Gegend. Leider
chillten sämtliche anderen Lebewesen anscheinend gerade in einer
ganz anderen Ecke des Waldes, so dass wir gerade mal einen einzigen
Affen (und keinen Orang-utan) erspähen konnten. Der hatte nichts
besseres zu tun als von seinem Baum zu pinkeln, bevor er in der
nächsten Baumkrone verschwand, was wir zu Recht als schlechtes Omen
werteten. Es waren wunderbar entspannte Tage im Wald, ganz „back to
the roots“ ohne fließend Wasser, mit Waschen im nahen Bach,
Plumpsklo und Einschlafen zum Dschungelkonzert von exotisch singenden
Vögeln und Zikaden, die jeden Zahnarztbohrer vor Neid hätten
erblassen lassen. Ein leicht fader Nachgeschmack blieb dennoch:
Während der Feldarbeit hatten wir fast mehr Tiere gesehen als hier
im Nationalpark, unsere Guides sprachen leider gar kein Englisch, so
dass wir wenig neues über Flora und Fauna erfuhren und die
Erkenntnis war ernüchternd, dass auch in dieser Ecke Borneos vom
Urwald wenig übriggeblieben ist. Überall werden Felder angelegt und
dazu der Wald abgebrannt, Palmölplantagen sprießen aus dem Boden.
Wo genug Geld in der Luft liegt, werden sämtliche Beschränkungen
zum Schutz der Wälder nur allzu bereit verworfen. Man kann es der
hiesigen Bevölkerung nicht einmal verübeln, dass auch sie ihren
Anteil an der weltweiten Entwicklung haben wollen, dass sie fließend
Wasser, Strom, Fernsehen, Internet, Auto und all die weiteren Vorzüge
der Zivilisation genießen möchten, was nur möglich ist, wenn man
finanzielle Überschüsse erwirtschaftet und nicht mehr nur vom
Gemüsebeet in den Mund lebt. Dennoch ist es traurig, dass dies
anscheinend nur auf Kosten der Natur möglich ist und der Bevölkerung
das Konzept von Umweltschutz völlig unverständlich ist. Man zündet
seinen zusammengekehrten Müll samt Plastikflaschen im Vorgarten an,
wäscht im Fluss mit Waschmittel die Wäsche und mit Spüli das
Geschirr, holzt die Bäume ab und brennt Gestrüpp und Stümpfe
nieder. Es ist noch ein langer Weg für Indonesien!
Was dagegen alles wettmacht, ist die Freundlichkeit und Herzlichkeit,
die einem hier überall begegnet. In den Dörfern und kleinen Städten
wird man bestaunt wie ein Popstar, vor allem von den Kindern. In
Sudakana unternahmen wir eine kleine Wanderung zum nächsten Strand
und wurden auf dem Weg von ein paar Teenies der hiesigen Dorfjugend
abgefangen, die uns mit viel Begeisterung und sehr gebrochenem
Englisch ausquetschten, was wir zum Henker denn hier machten. Statt
einem romantischen Strandbesuch zu zweit hatten wir dann also einen
sehr fröhlichen und kicher-lastigen Strandabend zu fünft. Ähnliches
passierte, als wir auf dem Rückweg vom Nationalpark nach Pontianak
auf das Speedboat warteten. Im Schatten eines Kornspeichers hatten
wir uns zum Lesen hingesetzt, als uns eine ganze Schulklasse
entdeckte, die uns fortan nicht mehr aus den Augen ließ. Einige
mutige Schüler trauten sich zu uns um sich mit uns fotografieren zu
lassen. Schließlich holte wohl irgendjemand aus lauter Begeisterung
über den exotischen Besuch die Lehrerin dazu, die uns zu sich ins
Haus zu Kaffee und Obst einlud. Mit unseren paar Brocken Indonesisch
und ihren paar Brocken Englisch gelang tatsächlich so etwas wie eine
Unterhaltung und die Kids waren total begeistert, als Nico ihnen
beibrachte auf Deutsch bis 10 zu zählen.
Die letzten zwei Tage unseres Indonesien-Aufenthalts verbrachten wir
in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens auf der Insel Java. Das erste
Mal seit langer Zeit sahen wir wieder weiße Touristen, die im
untouristischen Kalimantan sehr sehr rar gesäht waren. Abends
erkundeten wir das Backpackerviertel um die Straße Jalan Jaksa und
aßen das letzte Mal an einem Straßenstand. Unsere aufgeschnappten
Indonesisch-Kenntnisse wurden von den Einheimischen begeistert
aufgenommen, die sowas von weißen Touris gar nicht gewohnt sind. Wir
bestaunten das Nationaldenkmal am Platz der Freiheit und das
„historische“ Viertel Kota, das leider so gar nicht wegen
schnieker Kolonialbauten hervorstach, sondern viel eher, weil es
furchtbar stank und in Dreckbergen versank. Jakarta ist definitiv
nicht meine Lieblingsstadt!
Nun sind wir sehr gespannt wie es in Vietnam weitergeht und was uns
dort erwartet. Ob wir ohne Vietnamesischkenntnisse wohl ähnlich
aufgeschmissen sein werden, wie man es in Indonesien komplett ohne
Indonesisch wäre? Ob sich Vietnam wohl mit ähnlichen
Umweltproblemen herumschlägt wie Borneo? Ob die Vietnamesen wohl
genauso fröhlich und freundlich sind wie die Indonesier? Wir werden
sehen – und ich werde es natürlich berichten!
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