Dienstag, 31. Juli 2012

Dorfgeschichten oder fliegendes Campieren

Samstag, 28.7.2012

Um an der reinen Autofahrzeit zu sparen und mehr Zeit zum Arbeiten zu haben, beschloss Nico, dass wir für einige Tage etwas tiefer ins Land fahren und in irgendwelchen Dörfern übernachten würden, wir also für zwei Nächte ein wie Joko es nennt „Flying Camp“ haben würden. Ohja, da hatte ich mich schon die ganze Zeit draufgefreut! Bisher waren solche Vorhaben erschwert worden, weil Nico lange auf eine Genehmigung warten musste, die sich der zuständige Mensch gut bezahlen ließ. Wie schafft man es eigentlich, Bestechungsgelder in solchen Ländern als erwartbare Ausgaben zu deklarieren um bei solchen Forschungssachen eine Chance auf Rückfinanzierung zu haben? Die Natur von Schwarzgeld verbietet ja bekanntlich die Ausstellung von Quittungen...

Mit sämtlichen Siebensachen gut verpackt im Kofferraum des Fourwheeldrives ging es also für Nico, Joko, Gimin und mich los in die Richtung des Flusses Sungai Mahi. Wiesen wurden immer seltener, die Straßen immer enger und löchriger, unasphaltiert waren sie sowieso, die Brücken immer abenteuerlicher – bis die erste Brücke nur noch motorradtauglich war. Das hinderte viele Mopedfahrer nicht daran, mit ihren mit dem Gewicht eines Kleinwagens beladenen Motorrollern und -rädern über die Brücke zu sauen, sie war bloß schlichtweg zu schmal für den Jeep. Gimin, todesmutig und verwegen grinsend wie immer, steuerte das locker über 20 Jahre alte Gefährt mit Schwung ins Bachbett um später über einen kleinen Weg auf der anderen Seite wieder hinauszufahren. Aber zuerst Sand waschen! Beäugt von den Bewohnern des nächsten Dorfs, an deren Waschstelle wir anscheinend saßen, drehten und kreiselten wir die Waschpfannen was das Zeug hält. Dann ging es weiter.

- hätte es zumindest sollen. Die nassen Räder des Jeeps verwandelten den im trockenen Zustand halbwegs griffigen Lehmboden in schlüpfrig glitschigen Schlamm. Gimin, völlig ungläubig, dass trotz Allrad die vorderen beiden Räder immer wieder durchdrehten, versuchte aber- und abermals den gleichen Weg hochzukommen - ohne Erfolg. Zunehmend erzürnt ließ er sie minutenlang durchdrehen, bis das gesamte Flussbett in dichten Auspuffqualm gehüllt war und Nico und ich langsam Panik schoben, dass das gesamte Auto gleich in Flammen aufgehen könnte. Keine Chance auf ein Herauskommen aus dem Fluss, anscheinend war der Allradantrieb kaputt, denn während die vorderen Räder durchdrehten, bewegten sich die hinteren keinen Millimeter. Auch den Weg, den es hinuntergekommen war, kam das arme Autolein nicht wieder hoch! Was tun? Hier war niemand, der uns hätte herausziehen können.Sollte die Karre als Metallschrott etwa hier verrotten und wir unser Gepäck zu Fuß zurück nach Banjarbaru tragen?

Es siegte Gimins gesunder Autoverstand: rückwärts, heißt die Zauberformel! Mit viel Anlauf, nochmehr fahrerischem Geschick, einem großen Sturkopf und blindem Vertrauen quälte Gimin den Jeep rückwärts den Weg hinauf, den wir eine halbe Stunde vorher so unbedarft hinuntergecruist waren. Eine anschließende Inspektion ergab, dass die Kraftübertragungseinheit des Allradantriebs lose unterm Auto hing und wir also die ganze Zeit ohne Allrad mit diesem dieselfressenden Spritschlucker unterwegs gewesen waren.
„Da bezahlt man horrende Summen für eine Schrottkarre, die älter ist als ich und dann funktioniert nicht mal der Allradantrieb und wir kommen nicht dahin, wo wir hinwollen! Was hätte man sparen können, wenn man das Geld in ein funktionierendes, weniger Spritmonster-artiges Auto gesteckt hätte!“, rechnete Nico haareraufend vor, während Gimin das lose Ding kurzerhand unterm Auto liegend ausbaute und Joko mit seiner Handykamera um uns herumsprang, völlig begeistert über das Motiv, wie wir beide Gimin beim Schrauben zugucken.

So schlimm war die kleine Panne dann doch nicht. Es waren genug diamantführende Flüsse übrig, in denen wir fleißig weiter Sand wuschen unter den Augen zahlloser völlig begeisterter Kinder, die sich stundenlang darüber freuen konnten wie weiß wir waren und was wir für komische Sachen machten. Diverse Male mussten wir uns mit Leuten fotografieren lassen, bis wir uns fast vorkamen wie ein Affe im Zoo und frotzelten, dass wir vielleicht Geld verlangen sollten. Wahrscheeinlich war es das Highlight des ganzen Monats für das Dorf, dass sich zwei Weiße hierher verirren. Nico erhandelte einen weiteren Diamanten von einer zahnlosen Dame, während wir anderen und das halbe Dorf im Schneidersitz drumherum saßen und wild hin und her diskutiert und erzählt wurde. Eine einfache Frage von Nico, seitens Joko brav übersetzt, mündete häufig in einem Gesprächsschwall, der erst 10 Minuten später mit einer zur Frage völlig unpassenden Antwort endete.

Anschließend fragte sich Joko quer durch das halbe Dorf, bis sich jemand erbarmte und uns sein Wohnzimmer zum Übernachten anbot. Eine ziemlich urige Holzhütte, leicht erhöht auf Stelzen, wie es auf Kalimantan typisch ist. Prachtstück des Wohnzimmers war ein Fernseher und zwei kleine schäbige Sofas, ansonsten sind die Dorfhäuser meist ziemlich leer, weil sich viel auf dem Fußboden abspielt. Dort wird geschlafen, gebetet, gegessen, zusammen gesessen, herumgelegen, getrunken, geklönt und ziemlich viel Fernsehen geguckt. Während es bei uns höflich ist, den Fernseher ausgeschaltet zu lassen, wenn man Besuch bekommt, ist es hier höflich ihn einzuschalten, um den Gast an dieser Errungenschaft der Technik teilhaben zu lassen und Gesprächspausen gut überbrücken zu können. Die recht luftigen Holzhütten haben natürlich keine Klimaanlage und häufig auch kein fließend Wasser. Ersteres übernimmt der Luftzug, der durch die Ritzen zwischen den Brettern zieht und für angenehme Kühlung sorgt, für zweites gibt es eine Waschecke, in der man sich mit Wasser aus Regentonnen waschen kann und ein Loch im Boden als Toilette, das im Unterschied zu französischen Hockklos natürlich nicht an ein Abwassersystem angeschlossen ist.

Auch die nächste Nacht verbrachten wir auf Isomatten, diesmal in einem Dorf namens Kalehaan im Haus des Bürgermeisters. Deutlicher Unterschied zur letzten Behausung! Die Arbeitsecke schmückt ein PC, das Haus ist gemauert, das Bad gefliest und die Wände gestrichen. Durch den fehlenden Luftzug ist es allerdings gleich gefühlte 20°C wärmer! Das Bad ist ein typisch indonesisches Schöpfbad wie wir es auch in unserer Pension in Banjarbaru im Bad hatten: Eine Ecke des Badezimmers besteht aus einem gemauerten, meist hüfthohen Basin, das randvoll mit Wasser gefüllt ist. Mit einer Schöpfkelle kann man dann nach Lust und Laune Wasser aus dem Basin über sich schöpfen, das über einen Abfluss im Boden abgeleitet wird. Sehr erfrischend!

Nachdem Nico seine letzten Proben am Berg Gunung Bukitbesar in einem Bachbett gesammelt hatte und genug Schwerminerale aus den Flusssanden gewaschen hatte, machten wir uns wieder auf die lange holprige Rückfahrt nach Banjarbaru, wo ich mich für die nächsten Tage erst einmal im Bett verkroch. Keine Sorge, keine Malaria – von der behaupten die Einheimischen hier, dass sie hier gar nicht auftritt. Außerdem lacht sich jeder, der aus Karlshof kommt oder mal in Prerow war, kringelig über die drei Mücken, die hier herumfliegen! Es war wohl vielmehr der Arbeits- und Reisemarathon, der seine Spuren hinterließ, die sich aber mit viel Ruhe und einer ausgiebigen Erkundung des englischsprachigen asiatischen Fernsehprogramms schnell kurieren ließen. Inzwischen bin ich wieder topfit und bereit für neue Schandtaten, die da heißen: Westkalimantan. Auf geht’s zum Äquator!

PS: Nachtrag zum letzten Post: Wie ich hinterher erfuhr, hat der Ketchup nicht etwa seinen Siegeszug aus der Welt in Richtung Indonesien vollzogen, sondern genau anders herum! Ketchup ist höchstwahrscheinlich indonesischen Ursprungs und bezeichnet "Soße", da die Westler den Sojaketchup nicht mochten, wurde er mit Tomaten erweitert!

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